sabinewaldmannbrun

Farbe. Linie. Sehen.

Fungua macho – mach die Augen auf!

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Das Spektrum an „offenen Beinen“ im Baraka Health Center (oben im Bild: der äussere Wartebereich am Morgen) ist nahezu unerschöpflich – aber doch auch deutlich anders als in einer deutschen (Gefäss)-Chirurgie, wo sich hauptsächlich ältere Patienten mit Diabetes oder arterieller Verschlusskrankheit, darunter viele Raucher, einfinden. In Mathare Valley hingegen sind Patienten jeder, aber eher jüngerer Altersgruppen (einschliesslich Kinder) mit chronischen Wunden an den Beinen zu finden, geraucht wird (aus finanziellen Gründen) so selten, dass dieser Risikofaktor wohl kaum eine Rolle spielt, und sowohl Diagnostik als auch Therapie sind begrenzt. Aber: mit offenen Augen, Ohren und tastenden Händen lässt sich schon allerlei herausfinden und auch das Labor bietet ein paar Möglichkeiten. Häufig sind chronische tropische Ulzera und verschleppte, infizierte Verletzungen, die Durchblutung ist meistens gut. Wichtig ist ausserdem, herauszufinden, ob man es neben Diabetes oder anderen Gefässproblemen mit einem geschwächten Immunsystem bei AIDS, einer Tuberkulose, einer Mangelernährung oder einer Knochenentzündung zu tun hat, zuweilen auch mit einer Sichelzellenanämie. Denn auch dann liesse sich die Ursache behandeln…

Die Kollegin, die ich ablöse, schrieb mir bereits im Vorfeld von dieser Patientengruppe, in die sie neben dem Trubel mit Knochenbrüchen und Abszessen viel Zeit, Kompetenz und Feingefühl investiert hat. Schon im letzten Jahr versuchten wir, die vielen Patienten, die mit schlecht heilenden Wunden seit Wochen oder Monaten teilweise dreimal wöchentlich kommen, besser zu organisieren. Auch, was der vor uns tätige Kollege sich dachte und tat, was an Untersuchungsergebnissen erhoben wurde, soll auf einem speziellen „Ulcersheet“ im besten Fall lesbar festgehalten werden und Kontinuität ermöglichen. Manche dieser Blattsammlungen sind so umfangreich, dass man sich in schlechten Momenten resigniert fragt, ob es noch jemals gut werden wird mit dem beschriebenen Bein. Manches lässt sich auch nicht so einfach in die Wege leiten: im Slum gibt es kein Sanitätshaus, das flott auf Rezept Stützstrümpfe (auch in Deutschland ein teures Unterfangen) anmessen würde – bei den hier und da auftauchenden Krampfaderpatienten, die man bei ausgeprägtem Befund auch nicht „mal eben“ auf Krankenkassenkosten zur Operation schicken kann. – Ich denke immer wieder einmal, die „Ulcerpatients“ sind in unserer Slum-Chirurgie diejenigen, die den längsten Atem brauchen, die grösste Geduld, und ein Wachbleiben des behandelnden Arztes und auch der Schwestern, einfach deshalb, weil die Heilung oft in so winzig kleinen Schritten vonstatten geht, dass einem dabei hin und wieder die Augen zuzufallen drohen.  Trotzdem – alle Beteiligten freuen sich gleichermassen, wenn nach regelmässig durchgeführtem Baden, Reinigung, Anfrischen und Verbinden eine saubere, gut granulierende Wunde vorliegt. Gut, dass wir die Möglichkeit dieser „langsamen“, intensiven und kontinuierlichen Behandlung haben, auch dank dem unerschütterlichen Engagement der Dressing-Room-Schwestern…

2 Kommentare zu “Fungua macho – mach die Augen auf!

  1. Irgendwann hat mal eine Freundin von mir gesagt, es gebe viele ‚Parallelwelten‘. Im Laufe der Zeit habe ich festgestellt, dass sie Recht hat. Du wanderst ja auch zwischen 2 Welten hin und her, die unterschiedlicher nicht sein können. Respekt!

  2. Danke für diesen eindrücklichen Bericht, der wieder einmal zeigt, wie wertvoll es ist, dass a) ein Gesundheitssystem eingerichtet ist und b) dass das noch nicht reicht, solange es Länder gibt, wo dies nicht so ist.

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