Musik
~ Ein Auflauf im Dressingroom! Gerade zurueck von der Mittagspause mit Tomatenweissbrot, kann ich mich gerade so noch in den kleinen Raum hinein zwaengen. Jimmy, der seine offenen Beine hat verbinden lassen, hat die elektrische Gitarre mitgebracht! Ein wirklich edles, blank poliertes Stueck in Rot und Silber, aber leider ist weit und breit kein Lautsprecher aufzutreiben. Macht nichts. Ein bisschen hoeren kann man auch ohne Verstaerker, und Jimmy gibt, wenn auch leise, eine Kostprobe seiner Kunst mit Gezupf und Gesang, flott, in den Beinen kitzelnd, die alle begeistert. Auch eine CD hat er anzubieten, darauf, mit charmantem Laecheln, sein fein herausgeputztes Selbst – da entfaltet sich eine ganz neue Perspektive. Gut so, denn was fuer ein reduziertes Bild ergeben die dreimal woechentlich betrachteten offenen Beine! „Next week he will bring the boxes, too“, sagt eine der Schwestern. Muessten wir da nicht die headnurse um Erlaubnis fragen? „She will accept!“ sagt meine Uebersetzerin und klingt so, als wolle sie sich dieses Happening keinesfalls entgehen lassen. Ich meine, dass es die schweigsame, stundenlange Warterei in Enge und Daemmerlicht punktuell ein bisschen aufhellen wuerde. Die Headnurse ist hingegen noch nicht ueberzeugt. „Patients will crowd around him, not hear their names any more and cause a lot of inconvenience!“ Ob es irgendwann einen Mutanfall geben wird?
Dina
~ Eine Last auf dem Kopf balancierend, ein buckeliger Weg, ein Sturz – Dina ist mit dem Schienbein auf einem Stein aufgekommen. Zum Glueck ist nichts gebrochen, aber eine 12cm breite, tiefe und gezackte Wunde hat sie sich dabei zugezogen. In der naechstgelegenen Gesundheitsstation flickt man beherzt, aber nicht genuegend kompetent den Schaden: mit stramm angezogenem Faden, etlichen Stichen an der Spitze des Hautlappens und fortlaufender Naht – lauter „Do not’s“, was Naehte am Schienbein (und anderswo) betrifft.
Ein paar Tage spaeter: das Bein ist geschwollen und schmerzt. Dina beschliesst, sich in Baraka vorzustelllen. Ich traue der Wunde nicht. Wird das gut gehen? Soll ich die Naht jetzt schon loesen? Waeren es einzelne Knoten, fiele die Entscheidung leichter. Ich entscheide mich fuer ein Antibiotikum und taegliche Kontrollen. Noch tritt lediglich etwas klare Wundfluessigkeit aus. Nach zwei Tagen beginnt sich die Haut im Bereich der festgezurrten Nahr an der Lappenspitze abzuloesen. Ich schicke Dina in die Klinik, zu einer ordentlichen Wundrevision in Narkose. Am naechsten Tag ist sie wieder da, ja, man wollte sie schon stationaer da behalten, aber das ginge doch nicht wegen der Kinder. Sie hat einiges bezahlen muessen fuer Labor und diverse Medikamente, aber der Verband ist noch derselbe wie gestern. Ich oeffne die Naht auf ganzer Breite, noch ist nichts eitrig, aber die Hautraender sind teilweise abgestorben und werden schwarz. Ich bestelle Dina fuer den naechsten Tag nuechtern ein, um die Wunde in einer Kurznarkose gruendlich saeubern zu koennen.
Das einzige Narkosemittel, das wir zur Verfuegung haben, ist Ketamin in Kombination mit einem Beruhigungsmittel. Diese Kombination bewirkt keine tiefe Narkose, sondern eher einen „dissoziierten“ Zustand – die Patienten schlafen zwar, verspueren keine Schmerzen und sind nicht ansprechbar, es kann jedoch sein, dass sie etwas erzaehlen, schimpfen, schreien oder immer den gleichen Satz wiederholen, je nach Ausgangsgemuetszustand. Und Dina, die ein Kopftuch mit lauter kleinen Herzchen und Schriftzuegen „I love Jesus“ traegt, die sich entspannt und voller Vertrauen auf den etwas wackeligen OP-Tisch zwischen Sterilisator und Vorratsregal gebettet hat, faengt, sobald sie schlaeft, an, laut zu singen. Jared, der, waehrend ich einen grossen alten Bluterguss aus der Wunde spuele, die Narkose mit ueberwacht, lacht. Ob er mir uebersetzen kann, was sie da, froehlich und fern ihres Wachbewusstseins schmettert? „Gott hat ein Wunder an mir getan,“ uebersetzt er, waehrend ich noch das Ausmass an totem Gewebe betrauere und mich ueber das Healthcenter aergere, das ihr eine Wundheilungsstoerung groesseren Ausmasses beschert hat. Denn wenn ich wirklich alles an toter Haut entferne , liegt die Knochenfaszie frei und das verheisst nichts gutes und im schlimmsten Fall eine Knochenentzuendung. Ich hoffe, sie bewahrt sich ihren guten Mut fuer die naechsten Wochen. Zumindest diese Chancen stehen gut, wenn man das in ihrem Herzen gespeicherte Vertrauenspolster bedenkt…
Foto: Wandmalerei aus dem Frauengefaengnis in Langata, Kenia
März 14, 2016 um 4:58 pm
(Da stimme ich zu.)
März 4, 2016 um 5:42 am
deine Berichte gehen buchstäblich unter die Haut. Gut dass du es dir von der Seele schreibst. Es darf nicht vorloren gehen. Was ich mitnehme für mein Leben ist das kleine, feine Wort „Mutanfall“. Davon können wir alle nicht genug bekommen. Marie
März 3, 2016 um 9:18 pm
Vielen Dank für diesen Bericht, der mir – als jemand ohne Hinderung zu medizinischer Versorgung – zeigt, wie wenig selbverständlich es ist, Hilfe in der Not zu bekommen. Gut zu wissen, dass es Menschen gibt, die den Idealismus haben, für eine Verbesserung der Umstände zu sorgen … – ein wahrer Segen, und ein Zeichen, dass Dinge veränderbar sind.
Mit herzlichem Gruß Doris Brunkert
März 3, 2016 um 7:38 pm
Danke, dass du dein Erleben mit uns teilst! Und natürlich für deine/eure Arbeit … ich drücke Dina die Daumen und der Oberschwester ein Auge zu …
herzliche Grüsse
Ulli
März 3, 2016 um 6:50 pm
Liebe Sabine!
Auf Deine Berichte warte ich täglich – so faszinierend und intensiv empfinde ich Deine Berichterstattung. Dein Bericht über Eva am 18.2. hat mich dabei allerdings an Grenzen gebracht – ich musste mehr als einmal schlucken und das Geschilderte hat mich länger beschäftigt. Und das es auch die anderen Momente gibt, die mit Musik zum Beispiel, durften wir ja heute erfahren.
Vielen Dank für die Blicke, die ich mit Deiner Hilfe in eine mir fremde Welt werfen darf.
Alles Gute, Liebe Grüße Juergen