Die zehnjährige Joyce kommt am späten Freitagnachmittag mit ihrem Papa und trägt ihr schönstes Festtagskleid in Hellgelb mit weisser Schleife. Unter dem weit schwingenden Rock verbirgt sich ein umfangreicher Fixateur externe – ein Metallgestell zur Schienung eines Oberschenkelbruchs. Wir erfragen die Vorgeschichte. Eigentlich war der Termin zur Entfernung bereits vor einer Woche geplant, aber die Familie hatte kein Geld für die Aufnahmegebühr und Behandlung. Der nächste Termin ist im März, da hofft der Papa, dass das Geld reicht. Aus den Hautöffnungen, die die Verbindung zwischen äusserlicher Schienung und Knochen darstellen, tropft der Eiter. Das bedeutet: das Metall muss in Windeseile entfernt werden, unbedingt, eher vorgestern als heute, weil die Gefahr einer Osteomyelitis, einer Infektion des Knochens, die eine monate-, ja im schlechtesten Fall jahrelange Therapie bedeuten würde, mit Händen greifbar ist. Was können wir tun? Zunächst das Nächstliegende: die Wunden reinigen und sauber verbinden, den beiden in ihrer Muttersprache erläutern, warum Windeseile geboten ist, bis dahin Verbandsmaterial und Desinfektionsmittel mitgeben und als Alternative, wenn das alles nicht klappt, einen neuen Termin geben zum Verbinden, Kontrollieren und erneut Nachfragen, wie der Stand der Dinge ist. Vielleicht lässt sich so ein bisschen Tempo in das Geschehen bringen? Da die Verletzung ein policecase ist (derjenige, der den Unfall verursacht hatte, ist angeklagt), kommt zudem auch nur ein Government Hospital für die Entfernung infrage. Im Gespräch mit der hinzugezogenen Headnurse zeigt sich, dass doch eine Krankenversicherung vorhanden ist, die bezahlen müsste, unbedingt soll der Papa sich dort am Montagmorgen melden…Die beiden sind nicht wieder gekommen. Hoffentlich hat alles geklappt…
Die 14 Monate alte Unity wird von ihrer Mama gebracht – das Brüderchen hat ihr einen Stein ins rechte Nasenloch gesteckt. Ganz hinten glänzt er weiss mit grauen Tupfen, viel zu weit weg, um von selbst wieder heraus zu rollen. Zum Niesen bringen – das wird helfen. Meine Übersetzerin holt ein Schälchen Omo, das dem Mädchen unter die Nase gehalten wird: die hier übliche Methode. Unity mag offensichtlich den Duft nicht, es gibt grosses Geschrei, aber kein Niesen. Die Kinderärztin sagt: ab in die HNO. Vorher, finde ich, könnten wir noch unsere Instrumente sichten. Tatsächlich finden sich nach ausgiebigem Suchen in den zu Päckchen gebündelten Instrumentenportionen sowohl ein Nasenspiegel als auch eine langarmige, stumpfe Klemme. Vorsichtig starte ich einen Versuch unter wildem Gebrüll der Patientin, die Verbandsraumschwester leuchtet mit ihrem Handy, weil weder die OP-Lampe noch das Standlicht funktionieren wollen – kein Erfolg. Ein weiterer Versuch mit Omo, das Kind will nicht niesen. Nun also doch HNO-Vorstellung? Die Eltern sind nicht begeistert. Das dauert, endlose Warteschlangen, schlecht für den mageren Geldbeutel. Sie nehmen den Überweisungsschein trotzdem mal mit. Zwei Stunden später die freudige Nachricht: der Stein ist draussen! Die Eltern sind zum Witchdoctor gegangen, dieser hat Kräuter ins andere Nasenloch gelegt, das Kind hat geniest! Die Nurse bringt uns freudestrahlend eine Probe der Kräuter: zartgrün, ein bisschen hart und sperrig, aber in diesem Fall genau richtig. Schade, daß das Geheimnis nicht gelüftet wird, um welche Pflanze es sich handelt…
Grossen Kummer bereitet derzeit eine andere Alternativmedizin: ein neues chinesisches Geschäftsmodell betreibt mit grossem Erfolg die Vermarktung von Eselfellen in einem Mittel gegen Impotenz und Unfruchtbarkeit. Bereits drei Schlachthäuser sind aus dem Boden gestampft worden, und da für einen Esel von chinesischer Seite so viel Geld gezahlt wird, wie es einem durchschnittlichen kenianischen Monatslohn entspricht, werden die Grauen in Scharen verkauft und zur Schlachtung getrieben. Da nur die Felle verwendet werden, stapeln sich im Umkreis der Schlachthäuser die stinkenden, verrottenden Überreste. Die Schlachtrate habe inzwischen das fünffache der Reproduktionsrate erreicht, ist in den Nachrichten zu hören – Kenia ist dabei, aus Geldnot seine Esel auszurotten…
(mehr über unsere Projekte unter http://www.german-doctors.de)
Februar 20, 2020 um 9:40 pm
…ach, das glaub ich nicht, vielleicht sieht man sie nur nicht so offensichtlich wie die anderen, die laut klagen und ungeduldig sind?
Februar 17, 2020 um 10:09 pm
Das kann ich mir gut vorstellen. Es ist schön, dass du bei all dem Leid, dass du siehst, den Blick für die Schönheit nicht verlierst. Aber davon erzählen ja auch deine Bilder!
Tapfere und freundliche Menschen, gerade seufze ich ganz leise … hier gibt es glaube ich zu wenige davon?!
Februar 17, 2020 um 9:31 pm
Es gibt halt auch so viel Schönes und so tapfere, freundliche Menschen, Ulli…
Februar 15, 2020 um 3:07 pm
Die Eselgeschichte war mir neu, Danke für die Info, werde das hier mal, unter die Leute bringen, hört sich nicht gut an ! Lieber Gruss aus Hamburg von Jürgen
Februar 14, 2020 um 8:43 pm
So viele Leiden, so viel Geld OT und nun noch die Esel!
Traurige Grüße
Ulli
Wie hältst du das nur alles aus?!
Februar 13, 2020 um 3:24 pm
das gefällt für die Kinder, ein nicht gefällt für die chinesische Methode, bzw. Unsinn,.,,,,,