sabinewaldmannbrun

Farbe. Linie. Sehen.


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Weekendi – Mwanza II

Völlig unbeschrieben und hell wie der Morgen streckt sich der Sonntag, ein weites Land.  Die Sonne scheint, samtblau wölbt sich der Himmel, die Ibisse singen ihr ein wenig vorwurfsvoll klingendes Lied in den Bäumen, und vor meinem Fenster spielen die Meerkatzen auf dem Dachfirst Fangen. Oder lausen einander mit ihren langen schwarzen Fingern, was überaus elegant aussieht.

Heute verzichte ich auf die Frühvisite. Da es jeden Morgen ein Morgengebet für alle auf Kisuahili gibt (das ich bis auf das Baba yetu, das Vaterunser, nicht verstehe, aber täglich besuche), verzichte ich heute auch auf den Gang zur Kirche, auch dort würde ich nur erahnen können, worum es jeweils geht. 

Wenn man am Sonntag nicht allein sein mag, ist die Dorfkneipe von Rose, wo das Personal üblicherweise etwas zu essen bekommen kann, ein guter Platz. Dahin gehe ich mit meinen Buntstiften und dem Zeichenheft. Unter dem etwas löchrigen Grasdach sitzen schon Moses, 19 Jahre, Watchman, und Esther, eine der Mitarbeiterinnen der Kneipe. 

Da passe ich auch noch hin. Hodihodi! Man klopft trotzdem vorher erstmal verbal an. Karibu! Ich darf mich dazu setzen. Man wirft ein paar Begrüßungsformeln hin und her. Wie ist der Morgen? Was macht die Arbeit? Die Familie? Wie gehts? Alles frisch? Salama! 

Rose gesellt sich zu uns.  Heute gibt es nur Frühstück für Leute, die Kisuahili sprechen, sagt sie zu mir. Na denn! Ein Ritual, ich kenne das schon. Was ich kann, ist hauptsächlich auf den Klinikkontext bezogen. Streck die Zunge raus! Tief einatmen! Entspannen! Zieh die Schuhe aus. Hast Du Schmerzen? Kopfweh! Durchfall! Fieber! Nun reicht es, Rose lacht. Frühstück! 

Eigentlich ist ja schon Zeit zum Mittagessen, aber Hauptsache, es gibt etwas (was nicht immer der Fall ist). Aber um diese Zeit sind die Holzkohlen schon angeheizt. 

Während ich auf’s Essen warte, wünscht Esther eine kleine Konsultation. Ihre Mama hat immer Kopfweh. Moses muß übersetzen. Das dauert ein Weilchen und das Problem läßt sich nicht wirklich verstehbar benennen. Schließlich wird die Patientin angerufen. Aus dem Handy schallt laute Musik. Ob’s daran liegt? Zuviel Lärm? Die Angerufene versichert, dass es ihr heute gut gehe. Wunderbar, so löst sich manches Problem von selbst. Aber Esther fühlt sich krank, legt den Kopf auf den Tisch und schläft ein bisschen. Die Medikamente, in der Klinik geholt, hat sie schon genommen.

Dann ist das Frühstück da. Festlich: ein Omelett mit Zwiebeln, ein paar gebratene Kochbananen, ein Stückchen Mango. Und danach hole ich mein Zeichenheftchen heraus. 

Moses schaut mir zu. Wo siehst Du das? fragt er mich, als ich einen großen Vogel auf einem blauen Dach gemalt habe. Muß man sehen, was man malt, frage ich? Magst Du auch mal die Stifte ausprobieren? Moses nickt. Unbedingt!

Er malt einen Pilzbaum, in verschiedenen Blautönen, ein bisschen gelb, weiß, grau, fein, hingebungsvoll, konzentriert. Jetzt schaue ich ihm zu. Zeit ist ein Riese, und an diesem Mittag ein schweigender, der das Gesicht lächelnd in den Himmel hält. 

Wenn du magst, sagt er mir, zeige ich Dir die Pilzbäume! Gerne würde ich sehen, wie man hier auf Baumstämmen Pilze kultiviert. Unbedingt! Wir machen eine Zeit am Nachmittag aus, wann wir uns treffen. 

Zum vereinbarten Zeitpunkt ist Moses nicht da. Ich warte eine Viertelstunde, eine halbe Stunde, dann gehe ich ein wenig durchs Dorf. Ich hatte das schon eingeplant. Wer hier sagt, er käme, muß deshalb nicht unbedingt auch kommen. So ist das eben. Zeit ist ein Riese, der zuweilen auch unsichtbar hinter dem Horizont spazieren geht.

Die Sandpiste, die durchs Dorf führt, ist staubig, aus den Nachmittagsgottesdiensten in den kleinen Freikirchen auf dem Weg weht Gesang. Es ist ruhig heute, die kleinen Baracken, wo Frauen sonst Obst verkaufen, sind geschlossen, auch beim Barbershop ist nichts los. Hier und da spielen Kinder. Muzungu! Muzungu! Wenn eine weiße Frau vorübergeht, ist das stets Anlass für laute Rufe und Lachen: und plötzlich hat für die Kinder der dörfliche Sonntag ganz ungewohnt bunte Punkte! 

Du wurdest vermisst, sage ich am Dienstag zu Moses. Ja, er nickt und lächelt verständnisvoll. Er war an einem anderen Ort. Ob ich denn heute Zeit hätte? In der Woche hat die Arbeit Priorität, sage ich. Ja, das stimmt. Auch Moses muß seinen Pflichten nachkommen. Wir lächeln. Niemand würde hier je einen Vorwurf formulieren. Zeit ist ein Riese. Und ob er im Westen das Gesicht in den Wind oder im Süden ein Schläfchen hält, ist das wesentlich?


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Ohne Handy in der U-Bahn?

Seit 30 Jahren fahre ich mit derselben Stadtbahn zur Arbeit. Da gibt es viel zu sehen.

Ich sehe Menschen. Ein- und Aussteigen, Sitzen und Stehen, Zuwendung und Abwendung, Tun und Lassen. Ja, auch das Lassen kann man sehen.

Ich sehe Koffer wegrollen, Betrunkene schwanken, üppig beladene Kinderwagen kippen. Ich sehe das Äquivalent zu einer Jungbullenherde, der die Weide zu eng ist, sehe das bunte Gezwitscher von Kindergartengruppen, sehe Hunde, die Bahnfahren nicht mögen. Sehe Hunde, die gerade beim Frisör waren, Hunde, die noch nie dort waren und Ähnlichkeiten zu ihren Menschen. Ich sehe, wie Familienverhältnisse sich über die Jahrzehnte ändern, sehe eine Familie sich teilen (nach 10 Jahren Dreiersitzen immer im selben Eck, so dieses frei war, sind nur noch Mutter und Sohn beieinander. Auch der Vater steigt ein, jedoch am anderen Ende des Wagens. Der Abgrund zwischen den geteilten Welten gähnt unübersehbar, nicht ein Blick wird auch nur in die Richtung der anderen geschickt). Ich sehe höflich plaudernde Senioren, grimmige Augenbrauen und Zornfalten in Aktion. Ich sehe zwei ganze Sitzreihen aufblühen, weil jemand einen prächtigen Blütenstrauss trägt, und fünf ganze Sitzreihen lächeln, weil ein Baby gluckst und lacht. Ich sehe Blicke, die aus der Welt gefallen sind, sehe Marotten und Ticks, sehe Arbeitsmonturen und Ensembles, die zur Audienz bei der Queen taugen würden. Ich sehe Müdigkeit und Blässe, Erwartung und Freude. Ich sehe Jogginghosen und zuweilen auch, ob derjenige sein Leben noch im Griff hat oder nicht. Ich sehe Menschen aus anderen Ländern und ihre Angst, nur ja alles richtig zu machen. Ich sehe ein Kind, das wartet, Jahre lang, immer am selben Platz, und manchmal sehe ich die Mutter kommen und grüßen und höre den Namen des Kindes und sehe die Einsamkeit und die Last, die beide drückt. Ich sehe das Kind über die Jahre zur jungen Frau werden und warten, und denke, irgendetwas stimmt nicht, und irgendwann ist sie nicht mehr da, und eines Tages werde ich auch für die Mutter sichtbar, sie fragt mich, die halt zufällig in ihrem Weg steht, etwas, was die Fahrzeiten der Bahn bei der Streckensperrung betrifft und wir reden im Warten ein wenig und ich frage, wie geht es Lena, und die Mutter erzählt mir, mit der sie noch nie gesprochen hat, was ich befürchtet habe und ich höre zum ersten Mal von der Last, die ich die ganzen Jahre geahnt habe. – Ich sehe Menschen, denen der Nebensitzer zu nah ist, solche, denen er nicht nah genug ist, ich sehe Mütter, die sich im Display verlieren und Kinder, die um Aufmerksamkeit betteln, ich sehe, wer sich ansieht und wie und wer nicht. Wer wegsieht, wer sich abwendet und wer sich zuwendet. Ich sehe Menschen, die helfen, wenn etwas zu schwer ist, halten, wenn es einen Ruck gibt, auch, wenn sie nicht zueinander gehören. Ich sehe wenige mit Büchern und viele andere, die bunte Kugeln sortieren und zahlreiche, die Aliens abschießen und mails und whatsapps und tweets sortieren. Sehe Katzen in Boxen, Schirme, die liegen geblieben sind ( manchmal nehme ich einen mit, der offensichtlich niemand gehört) und geheime Zeichen an den Fensterscheiben, die jemand da hingeschrieben hat.

Es gibt eine Menge zu sehen. Und das Wesentliche ist auch in Zeiten des Maskentragens sichtbar. Klar habe ich auch ein Handy im Rucksack. Und hin und wieder tauche ich in einem Buch ab. Aber es ist spannend, was sich in diesem abgesteckten Kosmos entfaltet: ein vielfältig buntes Welttheater…


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Kleiner kenianischer Selbstversuch

Der erste Arbeitstag ist geschafft mit der gewohnten chirurgisch-bunten Vielfalt, der nächste Tag, Sylvester, bringt Bauchweh und ich schaffe es nicht zur Arbeit. Die Kollegen, die das hier Üblichste vermuten, wähnen mich von der Arbeit aus beim Erholen und Spazieren, aber meine Welt versinkt zunehmend im Schmerz. Abends dann muss sich die Chirurgin dem Offensichtlichen stellen, dass es doch sehr typisch für einen gammeligen Blinddarm aussieht. Also ab in ein Krankenhaus, der freundliche internistische Kollege kommt  mit, zum Glück auch mit einem dicken Bündel kenianischer Schillinge bewaffnet, und das ist ein Glück, denn Behandlung gibts erstmal  nur gegen Cash.  Dass man jetzt, am Sylvesterabend, die Krankenversicherung anruft, verschieben wir erstmal. Die Aufnahme, dass man gesehen wird, kostet nur 20 Euro, die Blutabnahme dann schon 70, und die weiteren Untersuchungen liegen schon über 300.  Der Abend zieht sich in die Länge, das Jahr wechselt, ich habe mich in die Sitzgruppe im Wartebereich gelegt, der Kollege tippt Neujahrgrüsse in sein Smartphone. Um 3 Uhr morgens schliesslich ist meine Verdachtsdiagnose rundum bestätigt und es soll gleich in den OP gehen, allerdings auch gegen Vorauskasse, und jetzt rufen wir dann doch die Krankenversicherung an, die sich netterweise ab jetzt um alles kümmert. Der Kollege fährt nachhause und ich in den OP. Es steht nun wirklich nicht auf meiner Wunschliste, mich in Afrika operieren zu lassen, aber inzwischen will ich nur noch die Schmerzen loswerden und alles andere ist egal. Das ist jetzt auch grösstenteils geschafft, wobei ich mich immer noch frage, wofür das nun wieder gut sein soll, während meine chirurgischen Patienten, für die ich ja eigentlich da sein wollte, weggeschickt werden. Vermutlich kann der Horizont garnicht genügend erweitert werden und auch die Chance, dass die Empathie wächst…


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Plantage der kleinen Hoffnungen

Kleine Sommermalerei : Plantation of little hopes – Farbtusche, Kreide und Buntstift auf Papier


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Sprache – Language

During my nightshift a Chinese tourist arrives with his tour-guide after an accident at the hotel. The tourist fell and injured his now bleeding leg. Already at the administration there was a problem in communication – on his voucher I can only find a first name and „China“ but both men are very friendly and always smiling, though we can not communicate – they don’t understand anything. The translation-program on their cellphones does not work in my consultation room, so we have to step out into the night to get my order „please call a friend who can translate“ into Chinese letters. Soon both are smiling even more enthusiastic: when having lunch at a Chinese restaurant today, they made friends and exchanged phone-numbers with the owner. And only a few minutes later I am talking in german with a very friendly lady, who builds all the bridges to understanding and an adequate treatment! Connections help – even if the language is unknown!

Im ärztlichen Nachtdienst stellt sich ein Chinesischer Tourist in Begleitung seines Reiseleiters vor, nachdem er im Hotelbad ausgerutscht ist und sich verletzt hat, eine tiefe Wunde am Knie blutet. Schon an der Anmeldung verstand man die beiden nicht wirklich, auf dem Adressfeld stehen nur ein Vorname und „China“. Beide sind wirklich freundlich und lächeln ohne Unterlass, aber verstehen wirklich gar nichts. Das Handy-Übersetzungsprogramm findet kein Netz im Sprechzimmer, so müssen wir hinaus in die Nacht, damit meine dringende Bitte (ruf einen Freund an, der übersetzen kann) in Chinesische Buchstaben übertragen werden kann. Und schon geht ein Leuchten über die Gesichter: in einem schwäbischen Chinarestaurant, in dem die Gruppe sich am Mittag stärkte, kam man ins Gespräch und tauschte mit der Eigentümerin die Telefonnummern aus. Und sofort habe ich eine astrein deutsch sprechende Chinesin am Apparat und wir verstehen uns ohne Probleme (auch wenn es ein bisschen länger dauert, bis alles gefragt, beantwortet und übersetzt ist). Wenn man die Sprache nicht kann, helfen zumindest gute Beziehungen!