sabinewaldmannbrun

Farbe. Linie. Sehen.


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Zu Gast im Lesekreis der anthroposophischen Wohngemeinschaft

Eine Freundin hat mich eingeladen, in ihrem Lesekreis vorbei zu kommen. Sie hatte mein Buch „Rote Erde – Notizen aus der ärztlichen Arbeit in Afrika“ als Lektüre vorgeschlagen und dachte sich nun, es müßte doch interessant sein, die Schreiberin vor Ort zu haben. Sozusagen den Mensch zum Wort…vielleicht für die eine oder andere Frage? Oder eine kleine Lesung? Das klang nett und so finde ich mich in einem Grüppchen von Lesern und Leserinnen wieder, alle brav auf Abstand und mit Maske. 

Die Gruppenleiterin schlägt nach einer kurzen Begrüßung vor, von den Leseerfahrungen zu berichten. Ein energischer Herr meldet sich zu Wort: er habe sich bis zur letzten Seite gefragt, warum man dieses Buch ausgesucht habe. Das sei ja keine Literatur. Ein Erfahrungsbericht. Ja, eben, wie der Titel sagt: Notizen. Ein weiterer älterer Herr stimmt ein: die wenigen Zeichnungen darin hätten gefallen. Aber da stände ja garnicht dabei, um was es sich handele. Nein, Literatur sei das nicht. Eine der Damen schaltet sich ein: ja, ein himmelweiter Unterschied zu dem vorher gelesenen Schriftsteller! 

Dass man sich doch per Abstimmung dafür entschieden habe, fügt jemand an. Eine leise Stimme auf der Pro-Seite, die doch nur sehr matt vertreten scheint.

Die Herren legen nach: Ja, und wieso ich mal in der 1. und mal in der 3. Person schriebe? Das sei doch immer ich, oder doch nicht? Und die medizinischen Schilderungen seien unverständlich. Und die Mentalität der Einheimischen, diese Lethargie..und wie könne es sein, dass Hilfsärzte operieren? Sie reden sich in Fahrt: bewirke man überhaupt etwas? Sei das nicht alles ein Tropfen auf dem heißen Stein? Die Politik müsse ran! Da müsse das System geändert werden! Das Buch tauge vielleicht als Information, als Aufzählung, als Anreiz zum politischen Tätigwerden…

Die Freundin leidet. Ich staune. Ist Rechtfertigung gefragt? Doch eigentlich nicht? Die leise Pro-Fraktion, kaum detektierbar in dieser Welle aus Unmut über einer Zumutung von Buch, schlägt vor, dass ich etwas daraus vorlese. Etwas lyrisches. Matte Zustimmung von Seiten der Gruppe. Ich lese:

Waldspaziergang mit Giraffe

Mittagshitzeflirren.

Stille.

Nur das Schnarren und Zirpen der Grillen, fast schrill, dann und wann ein Vogelruf.

Die weite Ebene liegt ruhig unter der Last einer gleißenden Sonne.

Blau am Horizont der Mt. Longonot.

Im lichten Wald sprenkeln Sonnenflecken den sandigen Weg.

Baumhoch, in langsamem Schritt, leicht wiegend und auf eigene Weise graziös, die Giraffe.

Blattzupfend hier und da, dann wieder die Augen mit den langen Wimpern in Richtung der sieben Wanderer gerichtet.

Prüfend.

Nachdenklich.

Ein Schritt zuviel in die Nähe und das große Tier wendet sich ab, geht gemächlichen Schrittes davon, um in gebührender Distanz wieder inne zu halten, ein Blatt aus der Baumkrone zu zupfen, als sei nichts geschehen. 

Unwichtig, die kleinen, verschwitzten Gestalten, die im Sand sowieso nur langsam vorankommen.

Eilig verschwindet ein Warzenschwein im Dickicht und hinterlässt eine Staubwolke.

Süß liegt der Duft der Salbeibüsche über der Ebene.

Hoher MIttag.

Kurzes Schweigen. Ja, doch, nahezu poetisch. Aber die Herren sind nicht zufrieden. Man hätte einen besseren Lektor gebraucht, der Poesie und Medizin auseinander hätte sortieren müssen. Die Mischung stimme nicht. Eine andere Dame ergreift das Wort: man kenne das ja, die Schieflagen in der Welt, und sie wirbt für eine von ihr unterstützte Hilfsorganisation. Da hätte es mit diesem Buch doch genügt, einen Sondertermin zu vereinbaren, aber nicht im Literaturkreis…

Erzählt nicht jeder in dem, was er sagt, eigentlich von sich selbst? Gut, dass einige sich endlich mal Luft machen konnten über den Überdruß an schlechten Nachrichten aus dem fernen Kontinent. Jetzt hat das Elend von da unten auch noch den ätherischen Literaturzirkel vernebelt. Wo ist die Feinstofflichkeit geblieben? Seltsam, all die Tapferkeit, die Geduld und die Kraft der African Ladies, die dort fast allen Widrigkeiten trotzen, und über die ich so viel geschrieben habe – völlig überhört?

Der halbstündige Marsch nachhause tut gut in der kalten Luft. Ein irgendwie ungastliches Grüppchen, dieser Literaturkreis.