sabinewaldmannbrun

Farbe. Linie. Sehen.


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Medizin und Armut?

Julie stellt sich mit grossflächigen Hautablösungen an beiden Fussrücken vor. Unbedingt gefragt werden muss, was und wie die Patienten arbeiten, um zu verstehen, welchen Umständen sie ausgesetzt sind. Julie arbeitet den ganzen Tag barfuss in Gummistiefeln. Und schwitzt darin. Sind es ihre eigenen? Stellt sie der Arbeitgeber zur Verfügung? Sind irgendwelche Chemikalien hinein geraten? So richtig lässt sich die Ursache nicht herausschälen. Ach ja, vor zwei Wochen hatte sie einen Unfall mit dem Motorradtaxi, sie wurden von der Strasse abgedrängt und fielen samt Motorrad in einen Fluss. Passanten hätten ihnen wieder heraus geholfen (ich denke an die Gynkollegin, die kürzlich mit dem Motorradtaxi und ohne Helm in die Stadt brauste). Ob es an Abwässern lag? Wer weiss? Ich trage die Hautfetzen nach einem Fussbad vorsichtig ab, Julie erhält einen Verband und die Bitte, alles gut trocken zu halten, und in den Stiefeln niemals barfuss zu arbeiten, sondern frisch gewaschene Socken zu tragen. Nach zwei Wochen ist alles wieder gut und geheilt.

Robert kann kaum atmen. Die Hose passt nicht mehr, weil die Beine so dick geschwollen sind. Eigentlich möchte er von mir wissen, was man gegen die Druckgeschwüre an den beiden grossen Zehen tun kann, auch die Schuhe passen nicht mehr und drücken ganz schrecklich. Und der Hoden sei geschwollen. Wir bitten ihn, die Hose abzulegen. Zum Vorschein kommen grosse Wunden an den Knien, auf einer Seite ein Wundkrater von 5 cm Durchmesser. Was denn geschehen sei? Robert sagt uns, er könne nur noch im Knien schlafen, anders könne er nicht atmen. Nach Versorgung der Wunden und Ausschluss all dessen, was als üble Ursachen infrage kommen könnte, schicke ich den Patient zum internistischen Kollegen, der die vermutete schwere Herzinsuffizienz weiter behandelt.

Peter hat sich an Weihnachten bei einem Besuch up country bei der Familie versehentlich einen Dorn in den rechten Mittelfinger gestochen. Erst nach fünf Tagen hat er ein Health Center erreicht, wo der Fremdkörper heraus gezogen werden konnte. Der Finger sind grauenvoll aus, selbst wenn man einiges gewohnt ist, dauert einen dieser Zustand bei einem so jungen Patient.  Die Strecksehne ist lose und zerfetzt, der Knochen liegt bloß, aus dem Gelenk tropft der Eiter. Auch ein desinfizierendes Bad und ein vorsichtiges Debridement ändern daran nichts. Der Finger kann nur noch amputiert werden.

Eine Lady mittleren Alters mit rosa Gepardenmusterhütchen, grauem Sweater und gemustertem Rock stellt sich vor. Seit 3 Jahren ist sie von Bauchweh, Knieschmerz und einem Klingeln im Kopf geplagt. Wenn Patienten eine so lange Krankengeschichte berichten, muss zuerst gefragt werden, welche Kollegen schon was untersucht und therapiert haben – das kann zuweilen viel Zeit und Geld sparen. Und sieh da: es gab bereits eine Blut- und Urinuntersuchung, ein CT, 2 Gastroskopien im Abstand von einem Jahr und vor eine Woche hat ein professoraler Kollege unseres Uniklinikums ihr ein Stäpelchen Medikamente verordnet, die sie seitdem tapfer schluckt: 5 verschiedene Pillen für Magen, Psyche und Rücken. Dem kann ich nichts hinzufügen, sage ich. Unsere solide, aber basisorientierte Ausstattung hat da nichts zusätzlich Neues im Angebot. Die Lady ist nicht zufrieden, man sieht es ihr an. Wir versuchen, den Wert ihrer bisherigen Versorgung herauszustellen, was nur ansatzweise gelingt…

Eine junge Mutter mit Baby kommt nach einem Matatu-Unfall. Der Minibus war umgekippt und Lasten und Mitfahrer auf die Patientin gestürzt, der es zwar gelang, das Baby zu schützen, die aber dabei allerlei Prellungen abbekommen hatte. Zum Glück erzählen nur hier und da ein paar blaue Flecken von anderer Leute Taschen, Knien oder Ellbogen. Was für ein Glück. Nicht immer gehen die Matatuunfälle so gut aus.

Am Ende des Tages, wenn noch ein bisschen Zeit ist,  machen wir im Dressing-Room wieder Röntgenbilderquiz. Die Schwestern dürfen – mit viel Spass – anhand von einem ausgewählten Röntgenbild – raten, wie alt der Patient ist, welche Knochen man sieht, wo die Fraktur sitzt und welchen Gips man dafür braucht. Alle machen grosse Fortschritte oder polieren früher Gelerntes wieder auf. Es wird viel gelacht…

Mehr über unsere Arbeit in diesem Projekt unter http://www.german-doctors.de

 

 


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Rund um’s Ohr

Wie in jedem Jahr sind Fortbildungen ein grosses Thema. Unsere einheimischen Mitarbeiter halten jede Woche eine interessante Fortbildung für uns deutsche Ärzte, so z.B. über verschiedene Aktivitäten, um die Entdeckung und Versorgung der HIV-positiven Patienten zu intensivieren, während jeder von uns je eine Fortbildung für die Übersetzerinnen und das medizinische Personal vorbereiten darf.

In diesem Jahr möchte ich mit den Übersetzerinnen eine Reise um’s Ohr herum machen. Eigentlich noch nie haben wir hier einen HNO-Kollegen zu Gast gehabt, sondern sind traditionell auf Internisten und Allgemeine, Chirurgen, Kinderärzte und Gynäkologen beschränkt. Andererseits kommen relativ oft Patienten mit Ohrenschmerzen oder Verletzungen am Ohr in unsere Ambulanz.

Die Damen sammeln sich in meinem kleinen Sprechzimmerchen, platzieren sich auf den Stühlen und beinebaumelnd auf der Liege und sind gespannt, was es diesmal zu hören gibt. Wer hat schon einmal ein Ohrproblem gehabt und möchte davon erzählen, frage ich? Beth meldet sich. Als kleines Mädchen hatte es eines Nachts plötzlich in ihrem Ohr geknackt, und es folgten schlimme Schmerzen. Tags drauf habe sie ganz allein zum Doktor gehen müssen. Der habe Tabletten aufgeschrieben, und dann sei es in 3 Tagen wieder gut gewesen.

Was denn der Doktor gesagt habe, was es sei, frage ich? Damals hätten die Doktoren noch nichts gesagt, meint Beth. Jane Rose lacht. Solche gäbe es auch heute noch genug. Die Damen nicken. Ja, das ist bekannt, leider. Nur wenige Patienten können Auskunft darüber geben, was ein Arzt, der sie vorher untersucht hat, als Ursache für ihr Leiden angesehen hat…

Wir tragen zusammen, was es an Beschwerden geben kann. Wie das Ohr aufgebaut ist, wie die Verbindung zur Nase ist, was sich alles entzünden und verstopfen kann. Wofür die Ohrmuschel gut ist? „For beauty!“ sagt Evelyne und grinst. Die schönsten Ohrringe trägt immer noch  Jane. Tja, das Ohrläppchen… Was man beim Ohrenspülen beachten sollte, wozu das Trommelfell gut ist und wie man es reparieren kann. Nachdem die Ladies seit Jahren die ärztlichen Ratschläge im gesamten Kosmos der Ohrenleiden zu hören und zu übersetzen bekommen, wird es ein lebhaftes Gespräch. 

Als Krönung steht zum Schluss eine Runde Trommelfellanschauen an. Ich habe ein Otoskop dabei, und nun kann jede mal in das Ohr ihrer Nachbarin schauen. Ein grosser Spass. Was sieht die eine? Was die andere? Härchen? Pickel? Etwas Helles am Ende? Kann dies das Trommelfell sein? Ohrenschmalz? Eine meint, ein Loch im Trommelfell entdeckt zu haben, aber zum Glück ist keines da.

Zum Schluss wird immer für die Fortbildung gedankt. Ich erhalte einen grossen Strauss Gedankenblumen. Blaue, rote, gefiederte,  Lilien, Rosen und noch viel mehr Schönes, das dann pantomimisch zusammengebunden und mir unter freundlichem Gelächter überreicht wird.

 

Die Daily Nation prangert in diesen Tagen die Praktiken der Kartelle zum Schulanfang an, die den Familien mit Vorschriften, wie die Schuluniform auszusehen hat, das Geld aus den Taschen  ziehen. Eine Aufstellung informiert die Eltern darüber, wieviel preiswerter die Einzelteile wären, wenn man sie in einem normalen Bekleidungsgeschäft kaufen würde. Eine vorgeschriebene Schulunterhose kostet so das dreifache als eine einfache, ein Pullover glatt das vierfache. Wehrt Euch, klingt zwischen den Zeilen an, so geht das nicht…

Die Heuschrecken sind nach wie vor in riesigen Schwärmen unterwegs. Dass die Vorräte an Spritzmittel nicht ausreichen und man nun aus Tansania und Japan liefern lasse, wird berichtet. Kürzlich haben wir in der Küche eine Plastikdose mit einer grossen, noch lebenden Heuschrecke darin entdeckt. Was tun damit? Lasst sie doch frei, meinte jemand. Nur das nicht, fanden die anderen. Zertreten? Nein. Ich schlage vor, sie ins Eisfach zu stellen. Vielleicht sei das ein gnädiger Tod? Aber vielleicht überlebt sie das, gibt jemand zu bedenken? Der Rätsel viele.

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Das bunte Vielerlei

Inzwischen sind scheinbar all unsere Patienten und überhaupt ganz Nairobi zurück von ihren Weihnachtsausflügen, und manche haben auch von up country ihre alten Eltern mitgebracht, um diesen nach Jahren endlich einmal wieder eine gründliche Untersuchung bei einem Arzt zu ermöglichen. So bricht unsere Ambulanz mitten im Mathare Valley Slum aktuell schier aus den Nähten,  und wir sind durchschnittlich 10 Stunden am Tag dort zugange.

Meine erste Patientin am Morgen ist eine junge Mutter, die weinend im Dressing Room sitzt, den Säugling auf dem Schoß. Sie hat starke Brustschmerzen auf einer Seite und hat einen Knoten getastet. Da Brustabszesse hier häufig sind, nehme ich sie mit in den Ultraschallraum, aber zum Glück verlangt der Lokalbefund noch kein  chirurgisches Einschreiten – vermutlich handelt es sich bisher nur um einen Milchstau. Ich bitte die Gynkollegin, sich ihrer anzunehmen.

Der nächste Patient, ein junger Mann, atmet schwer und schwankt ein wenig, als er in unser Sprechzimmer tritt. Heftiger Durchfall seit 2 Wochen, Husten mit Auswurf. Am Eingang wurde bereits die Temperatur gemessen, wie bei allen Patienten: 36,2. Die Stirn fühlt sich heiß an, wir messen nochmal: 39,6. Das passt eher. Die linke Lunge knarrt und rasselt, die Sättigung ist bei  86%. Auch, wenn unsere Patienten immens hart im Nehmen sind und sich auch nicht beklagen, wenn man sie in schlechtem Zustand stundenlang auf einer Wartebank im Biergartenformat platziert, beschliesse ich, diesem Patient im Emergencyroom ein Plätzchen zum Liegen zukommen zu lassen, eine Infusion, Medikamente zum Fiebersenken und eine Laboranforderung, bei der der Laborant zu ihm kommen muss. Bei dem Andrang heute kann es sonst sein, dass wir erst in 3 Stunden die Ergebnisse haben.

Ein alter, schlanker Herr, der von seinen beiden besorgten Söhnen von up country mitgebracht wurde, lässt sich als nächster in unserem Räumchen nieder. Das auf der Karte notierte Geburtsdatum weist ihn als 97jährig aus. Wir fragen nach. Eigentlich sei er doch 70, meint der eine Sohn? Die drei Männer diskutieren eine Weile. Man einigt sich auf 80 Jahre. Nun aber zu den Beschwerden.

Es klopft. Die Gynkollegin möchte, dass meine Übersetzerin die Schwestern im Dressingroom an der Milchpumpe anleitet. Die junge Mutter hat auch nach ihrer Ansicht einen Milchstau und soll abpumpen. Da die beiden Söhne mit Vater kein Englisch sprechen, beschliesse ich, bis meine Übersetzerin wieder da ist, nach dem schwer atmenden jungen Mann zu sehen, der eine Infusion erhalten sollte. Die Liege, die ich ihm zugewiesen habe, ist leer. Wo ist der Patient, frage ich, die Schwestern weisen nach draussen: dort sitzt er wieder auf der Holzbank.  Wer jung ist und noch irgendwie laufen kann, muss gesund sein. Also nochmal. Liege, Infusion, der Laborant verspricht, sofort zu kommen. Ich bitte den internistischen Kollegen, noch einen Blick auf den Patient zu werfen.

Inzwischen ist meine Übersetzerin zurück und es kann mit dem 80jährigen weiter gehen. Die Beschwerden? Die Söhne packen ein Stäpelchen Papiere auf den Tisch. Ah, Vorbefunde! Ein seltenes Glück!  Eine vom Alter gezeichneten Wirbelsäule wurde gesehen, Schmerzmittel, Muskelrelaxantien und die Empfehlung, Physiotherapie zu machen, wurden vor einem Monat verordnet. Hat geholfen, was bisher unternommen wurde, möchte ich wissen?

Es klopft. Der internistische Kollege wedelt mit der Kurve des jungen Mannes und bittet mich nach draussen. Die Laborbefunde ausser der Stuhlprobe sind alle da, er vermutet eine Lungenentzündung und hat 4 verschiedene Medikamente verordnet, eines davon als Infusion. Auch der Patient liegt noch auf seiner Liege und hat inzwischen einen iv-Zugang. Ich bitte, mich zu rufen, wenn alle Befunde da sind und die Infusion durch ist.

Weiter mit dem alten Herrn. Die Medikamente hätten nicht geholfen, Physio habe man nicht ausprobiert. Gibt es die überhaupt up country, frage ich? Aber ja, wird mir bestätigt, da sei ein Krankenhaus in der Nähe. Ich setze an, in groben Zügen unsere Erkenntnisse aufzuschreiben, aber es gibt noch mehr Beschwerden. Der linke Hoden schmerze.

Es klopft. Die Kinderärztin schickt einen Dreijährigen und seine Schwester mit Abszessen, die ich spalten soll. Zu viel Vaseline auf der Haut. Die Kinder müssen noch ein bisschen warten.

Der Hoden erweist sich als völlig normal, auch bei Druck keine Beschwerden, auch keine Leistenhernie oder Hydrozele. Weitere Beschwerden? Das Telefon des alten Herrn klingelt. Er muss jetzt erstmal telefonieren. Lächelt freundlich in die Runde und verlässt das Zimmer. Scheinbar nichts für die Söhne.

Ich nutze die Gelegenheit, nach dem jungen Mann zu schauen. Er ist weg. Aber wo? Im Trubel des Emergencyrooms weiss keiner so genau, wohin er verschwunden ist. Hat er denn seine Medikamente abgeholt? Die zwischen 4 anderen Patienten rotierende Schwester meint, eine Schachtel gesehen zu haben. Hoffen wir mal, dass alles da ist, der Kollege hatte noch auf die Karte geschrieben, am Montag sei Kontrolle nötig, hoffentlich kann der Patient das lesen. Zurück in mein Sprechzimmer.

Der alte Herr hat fertig telefoniert. Weitere Beschwerden werden genannt. Die Augen seien nicht mehr so gut. Die grauen Linsen sieht man auch schon von Weitem. Ich bitte meine Übersetzerin, ihm von den augenärztlichen Programmen zu erzählen, wo die Linse entfernt werden kann.

Es klopft. Die Dressingroomschwester bittet mich, zu einer Abszessspülung zu kommen. Den Patient hatte ich vor zwei Tagen operiert, ein 6cm grosser, alter Abszess am Rücken, gestern sah es schon sehr gut aus. Er muss auch noch ein bisschen warten.

Die Söhne haben inzwischen verstanden, was am Auge möglich wäre, aber es gibt noch weitere Beschwerden. Heartburn! sprich: Sodbrennen. Aber auch nicht immer. Im Moment zum Beispiel nicht. Das Telefon des alten Herrn klingelt erneut. Wieder verlässt er freundlich lächelnd den Raum. Draussend ein Chor von drei schreienden Kindern, eines klingt, als würde die Welt untergehen, vermutlich eine Blutabnahme.

Ich versuche, kurz zusammen zu fassen, dass der alte Herr eigentlich in recht ordentlichem Gesundheitszustand ist, wenn man von den Nebenwirkungen des Alters absieht und dass sie mit Schmerzmitteln vorsichtig sein sollen, nicht, dass es noch mehr heartburn gibt. Noch Fragen? Die Söhne sind soweit zufrieden. Der alte Herr sowieso.

Es klopft.

Es wird uns nicht langweilig!

Die Daily Nation berichtet aktuell täglich über die riesigen Heuschreckenschwärme, die von Norden her über die Nachbarländer und nun auch Kenia ziehen und kahles Land hinterlassen. Durch die Wetteranomalitäten (es regnet auch jetzt, in der Trockenzeit, täglich und ausgiebig) gibt es viel frisches Grün und damit einen reich gedeckten Tisch auch für die Nachkommen der Locusts. Die Regierung wird dafür verantwortlich gemacht, dass man das Problem zu lax angegangen hätte, zu Beginn wäre es noch möglich gewesen, biologische Mittel einzusetzen, aber jetzt wird Gift gespritzt, alles Chemikalien, die in Europa längst verboten seien. Zudem dienen die proteinreichen Heuschrecken als Nahrungsquelle. Wie, fragt sich nicht nur die Zeitungsredaktion, sind die Menschen auf dem Land informiert worden, wo gespritzt wurde? Was zu beachten ist? Welche Heuschrecken kann man noch essen? Welche nicht? Wie schnell wird das Gift abgebaut? Viele offene Fragen…

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Back to work…

Zurück zu meinen Patienten – steiler Einstieg in eine volle Woche (am 12. postop. Tag). Alle freuen sich, dass ich wieder da bin, die einheimischen Mitarbeiter fragenimmer wieder, wie es geht, lassen mir ein Höckerchen im Verbandsraum frei, dass ich nicht die ganze Zeit im Stehen schreiben muss, eine der Schwestern aus der Triage sagt, sie schätzten sehr, dass ich mit den Patienten helfe, obwohl ich noch nicht wieder so fit sei. Das tut gut und man fühlt sich gleich fitter…

Wie immer ist unser Spektrum bunt und vielfältig, vom Insekt im Kinderohr, das herausgespült werden muss über die vielen Gipse (einige sind bereits seit zwei Wochen überfällig, weil ich nicht da war und keiner sonst sich berufen fühlte, sich in die Akten hineinzuarbeiten) bis zu akuten Bäuchen und noch viel mehr.  An einem Mittag denke ich, ich mache mal für 10 Minuten die Tür und die Augen zu, aber die vielen Patienten vor der Tür wissen, da ist eine Doktorin drin, und die kann eigentlich nur fit sein und ist dafür da zu helfen, und so wird immer wieder die Klinke heruntergedrückt und geklopft.

Rufus, 38 Jahre alt, stellt sich mit einer grotesk geschwollenen Oberlippe vor. Bei genauerem Betrachten zeigt sich, dass es ein praller Abszess ist. Wir erklären ihm, dass unbedingt der Eiter raus und zugleich ein Antibiotikum über die Vene gegeben werden muss, weil die Nähe zu den in den Kopf eintretenden Gefässen ein grosses Risiko beinhaltet. Kein Problem, Rufus positioniert sich cool auf der wackeligen Liege im kleinen septischen OP, aber als die Schwester sich mit der Nadel für den intravenösen Zugang nähert, geht garnichts mehr. Der Patient springt auf, wedelt wild mit den Armen, nein, keine Spritze, auf keinen Fall! Verschiedene der sich einfindenden einheimischen Mitarbeiterinnen versuchen mehr oder weniger laut, ihn zu überzeugen, und ich frage mich: warum? Schlechte Erfahrungen? Aberglaube? Hätte der Witchdoctor etwas einzuwenden? Einfach nur Weichei?

Wir bitten die Vertretung der Headnurse dazu, die mit etwas mehr Sanftmut, aber nicht ohne Taktik an die Sache herangeht, und schliesslich ist Rufus doch bereit, sich auf den venösen Zugang einzulassen. Er habe halt eine Spritzenphobie, wird mir erläutert. Maximal angespannt, die Hand vor die zusammengekniffenen Augen gepresst, übersteht er die Prozedur des Nadellegens dann gerade so.

Ich habe schwere Bedenken, wie es werden wird, wenn ich erst den Abszess eröffne, und bitte vorsichtshalber einen unserer starken Männer dazu, es kommen, vorgewarnt von den Schwestern, gleich zwei, man weiss ja nie, aber dann zuckt Rufus nicht mit auch nur einer Wimper. Da habe er keine Probleme, meint er, jetzt wieder ganz der Coole, ein Schnitt, keine grosse Sache. Nur eben, die Nadeln… Während Inzision, Ablaufen grösserer Mengen Eiters und ausführlicher Spülung  geht dann alles sehr entspannt zu, auch der zweite starke Mann ist längst wieder nach draussen verschwunden.

Patienten in diesen Tagen in ein Krankenhaus zu verlegen, ist nicht ganz einfach, egal, wie schwer krank sie sind. Eines der grösseren Häuser hat Fisteloperateure zu Gast und kann neben deren Patienten keine weiteren mehr aufnehmen, zu zweien unserer anderen grossen Referalhospitals können Patienten nicht mehr mit der Ambulanz gebracht werden, weil es sich (was früher keinen störte) um einen anderen Stadtteil handelt, die Kranken sollen sich selbst auf den Weg machen…

 


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Viele Farben, ein Bild

  • Am Morgen stellt sich in unserer Ambulanz eine sehr jugendliche Grossmutter mit ihrer Enkelin vor. Das Mädchen habe ein Problem mit den Beinen, ob wir da etwas ausrichten könnten? Sie wird zur Chirurgin geschickt. Das Problem begleite das Mädchen ja sicher schon seit ihrer Kindheit, frage ich vorsichtig. Die Mutter habe sich nicht um das Kind gekümmert, berichtet die Grossmutter. Als klar war, dass es behindert sei, habe es weder in die Schule gehen können noch sonst irgendeine Förderung erfahren. Sie habe allerdings die Hoffnung noch nicht aufgegeben, deshalb sei sie heute hier… Was kann man den Beiden empfehlen? Das Mädchen wirkt intelligent, kommuniziert normal, wenn auch ein wenig verlangsamt, die Hände verfügen über Feinmotorik, und sie hat eine deutliche Gehbehinderung mit Einwärtsstellung der Füsse. Und niemand hat sich je die Mühe gemacht, ihr Lesen und Schreiben beizubringen.

Physiotherapie muss selbst bezahlt werden, sie wird als individuelle Förderung in mindestens zwei Kliniken angeboten, was wiederum einen weiteren Weg beinhaltet. Eine Schulförderung wäre auch möglich, wenn die Familie es denn finanzieren kann. Ratlose Gesichter.  Ob wir erstmal klein anfangen? Die community health workers fragen, ob jemand Zeit hat, ab und zu ein bisschen zu üben, was man mit Buchstaben alles machen kann? Ja, das will sie unbedingt, sagt die Patientin, sie möchte etwas lernen. Und sie fürchte sich auch nicht vor denen, die sie auslachen könnten, wenn es nur langsam geht und länger dauert. Wir finden die Schwester eines in ihrer Nähe wohnenden Sozialarbeiters, die sich das vorstellen könnte. Vier Wochen später erzählt mir dieser, die Beiden übten zusammen. Es gehe voran.

  • Alle zwei Wochen sind wir an der Reihe, unseren Übersetzerinnen eine kleine Fortbildung zu präsentieren. Nachdem wir im letzten Jahr das Thema Rückenschmerzen vertieft und auch ein bisschen, sozusagen prophylaktisch therapeutisch getanzt hatten, soll es dieses Jahr um Antibiotika gehen, finde ich. Haarsträubend ist der Umgang damit, bei jedem „Chemist“ kann man sie kaufen, so weit das Geld reicht, und da oft nicht viel Geld da ist, kauft man auch mal von jeder Sorte 2 Tabletten und nimmt diese. Darunter sind dann Reserveantibiotika, oder auch schonmal Breitbandpenicilline gegen verrenkte Schultern, weil der Chemist rät, bei Knochenbeschwerden könnte da eine positive Wirkung eintreten…

Die Damen sind völlig im Bild. Alle wissen eigentlich, wie Antibiotika gegeben werden müssen, vermutlich wegen der beständig haareraufenden Ärzte, deren Ärger über ultrakurze oder monatelange Therapien ohne Sinn und Verstand sie immer wieder übersetzen müssen. Wir machen einen kleinen Ausflug zu den Bakterien und Viren, wie sie aussehen, wie sie sich unterscheiden. Ich habe zwei Prototypen aufgemalt und erzähle ein bisschen dazu. Da ich immer wieder Fragen stelle, damit die Mittagsmüdigkeit nicht allzu schwer lastet, sehe ich, dass viel Wissen da ist, aber auch noch ein paar Lücken. Ein paar können wir füllen, z.B. wie es zu Harnwegsinfekten bei Frauen kommt oder wies das eine oder andere übertragen wird.

Was macht ihr, wenn Euer Doktor Antibiotika bei einer Erkältung verordnet, will ich zum Schluss noch wissen, denn das kommt durchaus auch mal vor. Die Damen wiegen die Köpfe. Wir sind in Afrika, und da konfrontiert man nicht, man kritisiert nicht. „Only, maybe… ask in a decent way,,,,?“ meint die Mutigste. Den Chemists würde man zuweilen eine deutliche Aufklärung wünschen…

  • Am Nachmittag sind so viele Notfälle da, dass auch die Liegen im Verbandsraum besetzt sind. Im kleinen OP liegt ein Mitarbeiter, dem schlecht geworden ist, und auf der Verbandsliege müht sich der internistische Kollege um einen jungen Mann, der ein Insektizid getrunken hat. Zum Glück hat er die Flasche dabei und sogar das Antidot steht in der Gebrauchsanweisung, aber die genaue Dosierung? Alkylphosphatvergiftungen sehen wir auch in Deutschland nicht alle Tage. Wir rufen kurzerhand in der Giftnotrufzentrale im deutschen Freiburg  an und hoffen, dass dort nicht gesagt wird, man sei nicht auch noch für Afrika zuständig. Dem ist nicht so, der Kollege am anderen Ende gibt die genaue Vorgehensweise zum Mitschreiben durch. Als der Patient endlich verlegt werden kann und das Ambulanzfahrzeug bereit steht, haben wir annähernd 50 mg Atropin in ihn hineingefüllt, dennoch ist der Puls bei um die 80/min, und schliesslich kann er in passablem Zustand in der Klinik übergeben werden.

 

  • Und obwohl es eigentlich genug zu Essen gibt, und Kenia ein fruchtbares Land ist, stellen sich immer wieder unterernährte Kinder und Erwachsene vor. Gut, dass es das feeding center gibt (siehe Bild), und man sogar das Essen verschreiben kann!

 

Infos zum Project unter http://www.german-doctors.de

Danke an die Kollegen für das Foto!


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Gute Besserung!

Bonface hat sich vor 5 Tagen an der linken Hand verletzt, irgenwie ist ihm ein dicker Holzsplitter in den Handrücken geraten. Das Holz ist wieder draussen, aber jetzt tropft der Eiter aus der schmutzigen, 3 cm grossen Wunde, die Hand ist grotesk geschwollen und heiss bis zum Ellbogen hinauf, die Haut schält sich bereits. Zum Glück hat er zuletzt vor 10 Stunden etwas gegessen und auch zu trinken gab es schon lange nichts mehr. Seine beiden Schwestern begleiten ihn, zusammen mit der achtjährigen Nichte mit wilder Wuschelfrisur und feinem rotem Kleid mit Tüllbesatz. Anders wäre er ja nicht gekommen, verraten die Damen, da hätte es schon ein wenig weiblichen Nachdruck gebraucht.

Innerhalb von einer halben Stunde ist der provisorische septische OP gerichtet, der internistische Kollege übernimmt die Kurznarkose mit Ketamin und Diazepam. Es dauert, bis Bonface halbwegs schläft. Es ist eine Narkose, in der man weiter atmet und der Blutdruck nur selten absinkt, und deshalb der Standard in Umgebungen wie dieser, wo es kein Beatmungsgerät gibt. Allerdings kann es sein, dass Patienten währenddessen singen, erzählen, gestikulieren oder schimpfen. Und auch Bonface, der, wie die Begleiterinnen verraten, gerne mal ein Bier trinkt, scheint lebhafte Träume zu haben. Mal hängt das linke Bein herunter, mal macht sich das rechte selbständig, und wilde Armbewegungen und Herumruschen auf der wackeligen Liege sind mit einer Handoperation nicht unbedingt vereinbar, schliesslich sind drei starke Männer nötig, um ihn soweit in Position zu halten, dass ich ordentlich arbeiten kann, obwohl der internistische Kollege bereits mehrfach die Dosis erhöht hat. Grosse Mengen Eiter entleeren sich aus den Entlastungsschnitten, ich spüle unermüdlich, bis die Flüssigkeit einigermassen klar zurückkommt. Da keine Drainage da ist, wird eine gebastelt, , indem in einen Infusionsschlauch Löchlein geschnitten werden.

Endlich ist die Hand soweit versorgt und verbunden, der Patient wieder wach, alles vielfach erklärt: unbedingt das Antibiotikum nehmen, unbedingt täglich zum Verbandswechsel kommen, auch die beiden Damen werden mit ins Boot geholt, zur Not sollen sie ihm wieder Beine machen.

Am nächsten Tag ist kein Bonface zu sehen. Auch am übernächsten nicht.              „Der Pfeifendeckel aber auch“, sagt der internistische Kollege, „er soll sich nicht wundern, wenn ihm  noch die Hand abfällt…“

Am dritten Tag ist Bonface wieder da. Die Hand ist deutlich gebessert, wenn auch der Verband nass vom Wundsekret ist. Die Dinge entwickeln sich gut. Der Patient hat scheinbar Vertrauen gefasst, erscheint täglich, und nach einer Woche ist die Hand wieder auf Normalgrösse abgeschwollen, die Wunden rosig und sauber. Alle freuen sich. Immer wieder schlittern Patienten haarscharf an Katastrophen vorbei und immer wieder staune ich, mit wie wenig Ausrüstung man die eine oder andere dann doch abwenden kann.

(Neues aus dem Bad: inzwischen hat, weil die hochfrequenten Einsätze des gutgelaunten Installateurs doch nicht verhindern konnten, dass der Wasserverbrauch unnötig hoch ist, die Chirurgin einen genaueren Blick in den Spülkasten geworfen. Basteln gewohnt, hat sie die Schraube am Schwimmer etwas angezogen und siehe da: es läuft kein Wasser mehr nach, nur die Anschlussstelle tropft noch ein wenig. Was tut man nicht alles, um German Doctors unnötige Ausgaben zu ersparen…:))

Danke an Sascha für das Foto!

Infos unter:  http://www.german-doctors.de

 


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Kenianisches Allerlei

Am Montagmorgen, wir stehen abmarschbereit vor der Haustür, biegt freudestrahlend der Installateur um die Ecke, unterm Arm eine neue Kloschüssel. Schon seit Monaten läuft in der Toilette im 1. Stock Wasser nach und treibt den Verbrauch in die Höhe. Wir versuchen zu ergründen, warum bei einem Spülkastenproblem die Schüssel ausgewechselt werden muss, aber der Mann lässt sich nicht beirren. Der Hausbesitzer habe dies vorgeschlagen. Na denn.

Bei der Arbeit wie stets ein buntes Vielerlei:

Ein Patient kommt mit Rückenschmerzen. Seit 20 Jahren trägt er täglich hundert Zementsäcke und erhält dafür am Tagesende 600 Schilling, also ca. 6 Euro. Vorsichtig versuchen wir ihm zu erklären, dass bei so hoher Belastung Rückenschmerzen keine Seltenheit sind. Ja, er könne ein bisschen ruhen, sagt er. Er fahre nachhause aufs Land. Dort bewirtschaftet seine Familie ein Stückchen Land mit Mais und Zuckerrohr. Das klingt nach mehr Ruhe und besserer Luft als in Nairobi, allerdings auch nach viel andererlei Arbeit.

Eine Patientin kommt aus einem unserer Referenzkrankenhäuser, nachdem ihr bei einem Unfall mit einem scharfen Blech die Achillessehne durchtrennt worden ist. Genäht wurde sie allerdings nicht, nur die Haut, und der Eiter tropft heraus. Warum man die Sehne nicht genäht hätte? Und warum man eine Woche lang nicht die Wunde verbunden, sondern den feuchten, schmuddeligen Verband belassen hat? Viele Fragen. Man hätte sie zum Röntgen geschickt, um zu sehen, ob die Sehne Schaden genommen hätte…(für die Nichtmediziner: ein Röntgenbild braucht man nicht, um die Sehne beurteilen zu können).

Nachdem die dritte Patientin sich mit einer seit Monaten nicht verbundenen, völlig ignorierten, schmutzigen, verkrusteten Wunde vorstellt, frage ich meine Übersetzerin, ob es da irgendeine afrikanische oder kenianische Tradition gibt, die es verbietet, Wunden zu verbinden. Sie meinen, erklärt Jane, dass eine verbundene Wunde schlechter heile. Ich brauche eine Weile, bis ich den wirklichen Sinn hinter dieser Aussage erkenne. Tatsächlich heilt eine Wunde schlechter, wenn man zwei Wochen lang den gleichen Verband darauf lässt.

Ein kleines, schmales Mädchen in gelbkarierter Schuluniform mit feschem weissem Kragen braucht einen Gips, es hat sich den Unterarm gebrochen. Wird die wackelige OP-Liege es aushalten, dass es am einen Ende sitzt und nicht in der Mitte, wo jetzt das Gipswasser platziert wird? Die Nurse ist guter Dinge und meint, das hält. Gerade wickeln wir die Baumwolllage um das dünne Ärmchen, als sich die Liege neigt: die Wasserschüssel ergiesst sich auf uns und die Patientin, das verdutzte Kind rutscht auf den Boden und alle sind nass. Zum Glück ist niemand anderweitig zu Schaden gekommen.

Ein Stäpelchen frisch gewaschene Unterhosen, die ein Kurzzeitarzt hier hat liegenlassen, finden sich jetzt fein gestapelt im Büro der Headnurse. Bereits ein Patient, der verschämt meinte, er könne die Jeans zur Untersuchung nicht ausziehen, seine Unterhose sei zu sehr zerrissen, hat sich über eine neue gefreut, ein weiterer trug ein Exemplar, das vom vielen Waschen so ausgeleiert war, dass er zweimal hinein gepasst hätte und bejahte das Angebot freudestrahlend.

Eine ältere Dame mit verstauchtem Knöchel verrät, dass sie in früheren Zeiten, wenn ihr Ehemann anfing zu schreien, immer zurück schrie. Seit sie die Taktik geändert habe und dann einfach sehr leise spreche, würde sie nicht mehr geschlagen. Das sei zum Glück lange her.

Ein grosser, hässlicher Brustabszess, den ich vor zwei Wochen eröffnet habe, ist wunderbar abgeheilt, nur noch eine kleine, einzentimetergrosse Wunde ist übrig. Die Patientin hat am Wochenende weder Gelegenheit noch Geld gehabt, sie verbinden zu lassen, am Montagmorgen klebt bei Vorstellung zum Verbandswechsel ein abgeschnittenes Läppchen von einem Fussverband darauf. Zum Glück hält das die Wunde nicht vom Heilen ab.

Am Abend sind wir gespannt, was wir im Bad vorfinden. Tatsächlich ist die neue Toilette installiert, aber es läuft nach wie vor Wasser nach und beim Spülen ergiesst sich ein Drittel des Kasteninhalts auf den Fussboden. An Tag Zwei ist die Toilette wieder verschwunden und ein Schild mit out of order hängt an der Tür. Am dritten Tag ist eine dritte Toilettenvariante montiert, die allerdings nicht funktioniert, es fehlt noch ein Ersatzteil, diesmal klebt das Schild auf dem Toilettendeckel. Am vierten Tag ist das Ersatzteil da, aber nach wie vor läuft Wasser nach und jetzt tropft es aus dem Anschluss zwischen Wand und Spülkasten. Ich erinnere mich gern an den Besuch der Aushilfsinstallateurin, die an Weihnachen innerhalb von 20 Minuten drei weitere Baustellen problemlos behoben hat. Ach, wenn doch die Ladies generell mehr Gelegenheit hätten, ihre Gaben glänzen zu lassen…

Danke an Sascha für das Foto!

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Baumwollunterwäsche

Josaphat sieht deprimiert aus. Er lässt sich schwer auf den wackeligen Stuhl im Sprechzimmer sinken. Kein Lächeln zur Begrüssung. Eigentlich gar keine Begrüssung.

Welche Beschwerden er habe? Meine Übersetzerin, die erstmal die Basisanamnese erhebt, schreibt und schreibt. Dann erhalte ich das Krankenblatt zur Weiterbearbeitung.

Rückenweh, Kopfschmerzen, es zieht und sticht beim Atmen, Halsweh, Rippenschmerz, die Beine sind schwer, heisse und kalte Missempfindungen, Herzklopfen, der Hoden drückt, der After juckt.

Eigentlich ist Josaphat jung und sieht sportlich aus , denke ich, und mache mich an den Untersuchungsmarathon. Der Patient soll sich ja enstgenommen fühlen,  und manchmal wirkt ja schon das Ernstgenommensein und es bessert sich zumindest ein wenig die Perspektive. Das braucht Zeit und die Dokumentation Platz auf der Patientenakte. Und eigentlich scheint alles in Ordnung.

Ob ich etwas übersehen habe mit meinem ja von Herzen vor allem chirurgischen Blick? Wir bitten den internistischen Kollegen, ein ergänzendes fachspezifisches Auge auf den Patient zu werfen. Und ein männliches auf den linken Hoden. Ist der vielleicht doch ein bisschen dicker als der rechte (obwohl er nicht wirklich krank aussieht…). Josaphat soll danach nochmal wiederkommen.

Fünf Patienten später ist er wieder da. Der Kollege hat nichts Neues entdeckt. „Soll Baumwollunterwäsche tragen“, steht da als Therapievorschlag.

Jetzt ist meine Übersetzerin dran, eine Runde Counseling einzuleiten. Ja, meint Josaphat, es gebe Probleme mit den Finanzen, und deshalb mit der Gattin und den Kindern. Doch, das bedrücke ihn sehr. Wir schicken ihn zu Bridgit, einer unserer Counseler.

Ob das einem afrikanischen Mann helfe, wenn ihn eine Frau berät? Gerade hier, bei den steileren Rollenunterschieden? Unbedingt, wird mir versichert, der letzte sei ganz begeistert und getröstet wiedergekommen.

Die Daily Nation gibt über die Festtage Tips, wie man die Zeit verbringen könnte, wenn man nicht zur Familie upcountry aufbricht. Wärmstens wird empfohlen, die älteren Damen und Herren in der Nachbarschaft zu besuchen, vor allem jene, die sich allein fühlten. Geraten wird dazu, unbedingt unparfümierte Vaseline als Gabe mitzubringen, da die alternde Haut davon profitiere, aber man solle auf jeden Fall auch seine kleineren Kinder mitnehmen, weil deren Lebendigkeit die vielleicht traurigen oder unbeweglichen Älteren aufmuntere!

(Danke an Sascha für das Foto!)

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Feuer und Ähnliches…

Unter den vielen Patienten, die auch kurz vor den Feiertagen noch durch unsere Ambulanz im Slum strömen, sind auch einige Kinder, deren Verbrennungswunden wir behandeln.

Da ist der Kleinste, 14 Monate alt, dem heisses Porridge den halben linken Arm verbrannt hat. Zwar brüllt er wie am Spiess, wenn die Wunde vorsichtig gereinigt und dann mit Vaselinegaze verbunden wird, aber wenn alles geschafft ist, lacht er wieder und winkt zum Abschied.

Dann ist da einer, der schon ein bisschen grösser ist, 5 Jahre alt, der schon beim Anblick einer der Fleissigen aus dem Dressingroom zu schreien anfängt, auch, wenn man ihn garnicht beachtet. Er hat sich versehentlich frisch aufgegossenen heissen Tee über den gesamten linken Arm geschüttet, die gesamte Haut hat sich abgelöst, eine grosse, schmerzhafte Wundfläche ist zurückgeblieben. Gerne wollten wir ihn möglichst schnell in unser Referalhospital schicken, damit bald eine Hauttransplantation gemacht werden kann, ich hatte schon den Überweisungsbrief geschrieben, als die Mutter noch einmal an der Sprechzimmertür vorstellig wird. Hm, ja, eigentlich wolle sie auch, dass der Kleine eingewiesen wird, aber es gibt da ein Problem… bei uns hat sie ihn unter einem anderen Namen registriert als bei ihrem ersten Besuch in jenem anderen Krankanhaus, von dem sie zu uns geschickt wurde, und damals sah es noch so aus, als könnte die Haut heilen… Wir staunen. Und fragen, warum sie denn zwei verschiedene Namen benutzt hätte? Ja, eigentlich hätte der Bub Henry James heissen sollen, sagt die Mutter, aber der Vater hätte für Brian Michael plädiert, man hat sich nicht einigen können, und jetzt? Ob wir nicht den Namen (auf ihre Option) ändern könnten in unserer gesamten Dokumentation? Die Headnurse springt ein und versucht, die Verwicklungen zu entwirren.

Und dann ist da noch ein Mädel, 4 Jahre alt, pummelig und gut gelaunt, die ebenfalls  von heissen Tee am Kinn (da ist nach zwei Tagen schon wieder fast alles heil) und über dem Brustbein verbrüht wurde. Die Häute der Brandblasen sind gerissen, aber noch anhaftend, also braucht es noch ein bisschen vorsichtige und zugleich flotte Wundreinigung. Die Mama gibt sich alle Mühe, das Kind abzulenken, spielt Verstecken hinter der Krankenkarte und singt, ach, ja, es ist ja bald Weihnachten, das gerät hier, abseits aller teuren Weihnachtsdeko und bei warmem Sommerwetter, immer wieder in Vergessenheit. Sie singt zu der Melodie von Bruder Jakob Baby Jesus, I love you! Und tatsächlich gibt es kein Geschrei, die Tochter ist tapfer wie die beiden  Jungs zusammen nicht, und ganz schnell ist die Wunde geputzt und verbunden.

Und dann bringt ein Papa noch eine Zweiliterflasche Cola vorbei, als Dank für die Verbände, die seine 5jährige Tochter nicht mehr braucht, weil die Brandwunde jetzt geheilt ist.

Ansonsten ist Weihnachten vor allem Reisezeit, man fährt, so man es sich leisten kann, nach upcountry zur Familie. Die, die es sich nicht leisten können, sind teilweise ziemlich traurig, andere tapfer und viele trotzdem, zumindest nach aussen, guter Dinge.

Nicht nachhause fahren auch die Mädchen der Naningoi Girls Primary School, die dort dank Sponsorship durch Girlsfund Kenya Zuflucht gefunden haben, nachdem sie vor oder aus Zwangsverheiratung mit viel älteren Männern oder der drohenden Genitalbeschneidung geflohen sind. Die Daily Nation berichtet in diesen Tagen ausführlich von diesem Projekt und dass man, wenn Väter versuchen, mit Gewalt ihre Töchter zurück zu holen, immer wieder auch die Polizeit einschalte.

Danke an Sascha für das Foto!

Mehr Informationen unter http://www.german-doctors.de

 


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Murmeln…

In mein Sprechzimmer wird von seinem Auntie ein kleiner Junge geschoben. Er habe eine Murmel verschluckt und zudem sei am Rücken, gerade unterhalb des Schulterblatts, eine runde Schwellung aufgetaucht. Ob sich wohl die Murmel auf geheimnisvollen Wegen zum Rücken hinauf begeben hat? Bei genauerem Nachfragen stellt sich heraus, dass sich die murmelähnliche Schwellung schon seit drei Jahren unverändert dort befindet und glatt, gut verschiebbar und vermutlich nicht gefährlich ist. Auch um die Murmel muss man sich erstmal keine Sorgen machen. Der Kleine ist guter Dinge, lacht und interessiert sich für die zwar spärliche, aber interessante Untersuchungsgerätesammlung auf unserem Tisch.

Die Daily Nation berichtet in diesen Tagen aus einem kleinen Krankenhaus im Norden, wo die nachtdiensthabenden Ärzte einfach nachhause gegangen seien und die Wöchnerinnen allein gelassen hätten, wodurch eines der neugeborenen Kinder Schaden genommen hätte. Die Klinik dementiert – die betroffene Mutter sei bei der nächtlichen Visite um 1.40 Uhr nicht in ihrem Bett gewesen. Wem soll man glauben?

http://www.german-doctors.de

(Danke an Sascha für das Foto!)