sabinewaldmannbrun

Farbe. Linie. Sehen.


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Letzte Runde! – Mwanza VI

Meine letzte, quasi „Abschiedsvorlesung“ über Wunden hatte ich zwar schon in Stuttgart ausgefeilt, aber dann doch noch morgens um 4 Uhr am Tag der „Aufführung“ um all das ergänzt, was in den letzten Wochen als optimierbar aufgefallen war. Diesmal ist die Mitarbeit doch ein bisschen besser. Vor allem eine der Nurses glänzt mit Mut und Kompetenz – und lauter Stimme! Und auch die jungen Docs haben sich tapfer geschlagen, bis zur letzten Minute an meinem letzten Tag ungefragt in der Notaufnahme übersetzt, was die Patienten erzählten und das weitere Vorgehen im Gespräch diskutieren wollen. 

Wann ich denn wiederkomme, wurde ich in meiner Verabschiedungsrunde gefragt. 

Wenn ich fließend Kisuahili spreche, habe ich dann gesagt. Denn in Tanzania können zwar viele englisch, haben sogar ihre Ausbildung in dieser Sprache absolviert – aber sie sprechen es nicht gern. Selbst dann nicht, wenn man unermüdlich darauf hinweist, dass man nicht genügend versteht, um am Gespräch teil zu nehmen. Und jeder Ausländer, der einigermaßen Kisuahili spricht, kommt gerne den tanzanischen Kollegen entgegen und so fand ich mich unversehens zwischen Kisuahili spechenden Holländern, Deutschen und Tanzaniern wieder.

Nur ein paar sehr wenige Einzelne hatten sich gemerkt, dass ich vielleicht hier und da ein Wort verstehe, aber nicht den Zusammenhang, und deshalb konsequent englisch gesprochen. Bei Nachfragen wurde auch willig übersetzt, allerdings dann eben später, nach der Veranstaltung.

Trotzdem: auch, wenn man nicht alle Worte versteht, läßt sich eine Stimmung erspüren, ob es um Schwieriges oder Frohes geht, Anspannungen, Freude, Müdigkeit, hier und da leuchtet ein Wort auf, das man kennt, und so etwa kann man sich dann denken, worum es geht. Vielleicht. 

Und netterweise wurde ich, auch nach langen Erörterungen in einer Sprache, die ich kaum verstehe, immer wieder nach meiner Meinung gefragt. Gerade in der Morgenrunde, der Besprechung von wichtigen Themen, die Patienten und Klinik betreffend, oder bei der Visite kam dann immer wieder die Frage, Dr. Sabine, möchtest Du auch noch einen Beitrag dazu geben? 

Ich fand das nett und habe gesagt: ich habe zwar fast nichts verstanden, aber ich vermute, es ging um dies oder das, und dazu hätte ich tatsächlich noch eine Idee… Das wurde stets freundlich aufgenommen und dafür gedankt und ich habe mich gefragt, wie soll ich das einordnen? 

Fühlt man sich in seinem Kisuahili so wohl, warm und geborgen, dass man nicht darauf verzichten kann? Oder ist es eigentlich ein Entgegenkommen für all diejenigen, die in englisch nicht so kapitelfest sind, aber die Informationen für die Arbeit brauchen, und jene sind vielleicht mehrere? Vor allem: wie kann man denken, ich könne dem Gespräch folgen und dann einen Beitrag leisten, wenn ich doch immer wieder sage, bitte, ich verstehe euch nicht? Na, wie auch immer. 

Ich komme wieder, wenn ich fließend Kisuahili spreche.

Das ist ja schön, meinte darauf hin eine, dass Du jetzt Kisuahili lernst! – Ach?

Und: das große Gruppenbild war mein Wunsch zum Abschied: das freundliche Gesicht Tanzanias auf einem Bild!

Und normalerweise werden medizinische Fortbildungen nicht vom Altar aus gehalten, aber in diesem Fall war halt noch nicht vom Vortag aufgeräumt. Jemand meinte: Jesus räumen wir jetzt nicht weg – es ist ja immer gut, ihn dabei zu haben! Die Bibel haben wir dann auch liegen lassen…


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Zwischen Reis und Rindern – Mwanza III

Am Wochenende ist Visite wie sonst auch, nur in etwas kleinerer Besetzung. Da ich sonst nichts vorhabe, und noch etwas in Sorge war wegen einem Patient, der am Freitag mit starkem Bauchweh bei Amöbenruhr aufgenommen wurde, begleite ich das kleine Häuflein Personal, das sich durch die Patientenzimmer schlängelt. Und siehe da, der Patient ist schon entlassen, hoffentlich, weil es ihm besser ging. Manchmal geht ja einfach das Geld aus… Auch die anderen Patienten scheinen auf dem Weg der Besserung, keine Katastrophen so weit. Im Wöchnerinnenzimmer präsentieren drei stolze Mamas die in den letzten zwei Tagen geborenen Babies. Ich bin so frei, mich nach der Visite zu verabschieden, wenn der Wochenenddienst sich in die Ambulanz begibt, wo gerade nicht wirklich viel los ist.

Jetzt ist der Tag ein weites Land und lädt zu Entdeckungen ein. Ich hatte schon länger im Sinn, ein paar Erdnüsse kaufen zu gehen, um besser für ausfallendes Frühstück gewappnet zu sein, aber das Angebot ist an den Büdchen, wo ich frage, ein bisschen mager. Zwar baut fast jeder Erdnüsse im Garten an, aber es gibt sie nicht breitflächig zu kaufen. Avocados und Mangos habe ich schon gefunden, frisch gewachsen und geerntet, wunderbar! Schliesslich komme ich bei ein paar Kindern vorbei, die immerhin winzige Portiönchen Erdnüsse verkaufen, jeweils ein Esslöffel voll, in Plastik eingeschweisst. Mit dem Rechnen ist es so eine Sache, und mit dem Herausgeben noch mehr, so dass ich schließlich das Rückgeld auch in Erdnüssen anlege. Fünf dunkle Kindergesichter strahlen mich an und ich freue mich, ein paar Nüsse gefunden zu haben.

Am Nachmittag dann geht es ein Stückchen spazieren, nachdem ein Gewitter mit Platzregen vorübergezogen ist, dicke weisse Wolken türmen sich noch am blauen Horizont, aber die Sonne scheint wieder unverdrossen heiß. Große Eidechsen in rot und violett huschen über Mauern, bunte Schmetterlinge und Libellen sind unterwegs und dicke Käfer brummen vorüber. Irgendwann lande ich in den feuchten Niederungen eines Reisfelds, und siehe da, ich treffe Landsleute: ein Herdchen Schwarzbuntvieh stapft tapfer durch die moorig nasse Landschaft am Ausläufer des Viktoriasees.

Mittendrin steht Marlon, ein wohlgenährter Bauer, und freut sich an den maigrün sprossenden Reisstängeln. Wir lassen ein paar Begrüßungsworte hin und herfliegen, dann lädt er mich ein, genauer zu schauen: sein Familien-Haus, sein Reis, sein Mangobaum! Auch ein Papaya- und ein Avocadobaum stehen in prallem Grün, Mais, Kartoffeln, Tomaten – halt alles, was man so braucht, um gut ernährt zu sein! Er erklärt mir dies und das, ich lobe seine fruchtbare, schwarze Erde, und ja, die Kühe sehen nicht nur aus wie bei uns, sie seien tatsächlich aus Deutschland. Ein Cousin kommt vorbei, Marlon möchte ein Foto mit dem Besuch aus der Ferne, von da, wo auch das Vieh herkommt! Wir posieren zwischen Reis und Rindern, man verabschiedet sich mit viel Dank und Willkommen. Asante und Karibu sana! Die Sonne sinkt über der Hügelkette…


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Weekendi – Mwanza II

Völlig unbeschrieben und hell wie der Morgen streckt sich der Sonntag, ein weites Land.  Die Sonne scheint, samtblau wölbt sich der Himmel, die Ibisse singen ihr ein wenig vorwurfsvoll klingendes Lied in den Bäumen, und vor meinem Fenster spielen die Meerkatzen auf dem Dachfirst Fangen. Oder lausen einander mit ihren langen schwarzen Fingern, was überaus elegant aussieht.

Heute verzichte ich auf die Frühvisite. Da es jeden Morgen ein Morgengebet für alle auf Kisuahili gibt (das ich bis auf das Baba yetu, das Vaterunser, nicht verstehe, aber täglich besuche), verzichte ich heute auch auf den Gang zur Kirche, auch dort würde ich nur erahnen können, worum es jeweils geht. 

Wenn man am Sonntag nicht allein sein mag, ist die Dorfkneipe von Rose, wo das Personal üblicherweise etwas zu essen bekommen kann, ein guter Platz. Dahin gehe ich mit meinen Buntstiften und dem Zeichenheft. Unter dem etwas löchrigen Grasdach sitzen schon Moses, 19 Jahre, Watchman, und Esther, eine der Mitarbeiterinnen der Kneipe. 

Da passe ich auch noch hin. Hodihodi! Man klopft trotzdem vorher erstmal verbal an. Karibu! Ich darf mich dazu setzen. Man wirft ein paar Begrüßungsformeln hin und her. Wie ist der Morgen? Was macht die Arbeit? Die Familie? Wie gehts? Alles frisch? Salama! 

Rose gesellt sich zu uns.  Heute gibt es nur Frühstück für Leute, die Kisuahili sprechen, sagt sie zu mir. Na denn! Ein Ritual, ich kenne das schon. Was ich kann, ist hauptsächlich auf den Klinikkontext bezogen. Streck die Zunge raus! Tief einatmen! Entspannen! Zieh die Schuhe aus. Hast Du Schmerzen? Kopfweh! Durchfall! Fieber! Nun reicht es, Rose lacht. Frühstück! 

Eigentlich ist ja schon Zeit zum Mittagessen, aber Hauptsache, es gibt etwas (was nicht immer der Fall ist). Aber um diese Zeit sind die Holzkohlen schon angeheizt. 

Während ich auf’s Essen warte, wünscht Esther eine kleine Konsultation. Ihre Mama hat immer Kopfweh. Moses muß übersetzen. Das dauert ein Weilchen und das Problem läßt sich nicht wirklich verstehbar benennen. Schließlich wird die Patientin angerufen. Aus dem Handy schallt laute Musik. Ob’s daran liegt? Zuviel Lärm? Die Angerufene versichert, dass es ihr heute gut gehe. Wunderbar, so löst sich manches Problem von selbst. Aber Esther fühlt sich krank, legt den Kopf auf den Tisch und schläft ein bisschen. Die Medikamente, in der Klinik geholt, hat sie schon genommen.

Dann ist das Frühstück da. Festlich: ein Omelett mit Zwiebeln, ein paar gebratene Kochbananen, ein Stückchen Mango. Und danach hole ich mein Zeichenheftchen heraus. 

Moses schaut mir zu. Wo siehst Du das? fragt er mich, als ich einen großen Vogel auf einem blauen Dach gemalt habe. Muß man sehen, was man malt, frage ich? Magst Du auch mal die Stifte ausprobieren? Moses nickt. Unbedingt!

Er malt einen Pilzbaum, in verschiedenen Blautönen, ein bisschen gelb, weiß, grau, fein, hingebungsvoll, konzentriert. Jetzt schaue ich ihm zu. Zeit ist ein Riese, und an diesem Mittag ein schweigender, der das Gesicht lächelnd in den Himmel hält. 

Wenn du magst, sagt er mir, zeige ich Dir die Pilzbäume! Gerne würde ich sehen, wie man hier auf Baumstämmen Pilze kultiviert. Unbedingt! Wir machen eine Zeit am Nachmittag aus, wann wir uns treffen. 

Zum vereinbarten Zeitpunkt ist Moses nicht da. Ich warte eine Viertelstunde, eine halbe Stunde, dann gehe ich ein wenig durchs Dorf. Ich hatte das schon eingeplant. Wer hier sagt, er käme, muß deshalb nicht unbedingt auch kommen. So ist das eben. Zeit ist ein Riese, der zuweilen auch unsichtbar hinter dem Horizont spazieren geht.

Die Sandpiste, die durchs Dorf führt, ist staubig, aus den Nachmittagsgottesdiensten in den kleinen Freikirchen auf dem Weg weht Gesang. Es ist ruhig heute, die kleinen Baracken, wo Frauen sonst Obst verkaufen, sind geschlossen, auch beim Barbershop ist nichts los. Hier und da spielen Kinder. Muzungu! Muzungu! Wenn eine weiße Frau vorübergeht, ist das stets Anlass für laute Rufe und Lachen: und plötzlich hat für die Kinder der dörfliche Sonntag ganz ungewohnt bunte Punkte! 

Du wurdest vermisst, sage ich am Dienstag zu Moses. Ja, er nickt und lächelt verständnisvoll. Er war an einem anderen Ort. Ob ich denn heute Zeit hätte? In der Woche hat die Arbeit Priorität, sage ich. Ja, das stimmt. Auch Moses muß seinen Pflichten nachkommen. Wir lächeln. Niemand würde hier je einen Vorwurf formulieren. Zeit ist ein Riese. Und ob er im Westen das Gesicht in den Wind oder im Süden ein Schläfchen hält, ist das wesentlich?


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Nächtliches Roadmovie 10 – Unterwegs im ärztlichen Notdienst

Der Dienst beginnt, umgeben schon jetzt von etlichen dynamischen, energiegeladenen Männern! Es kam ja schon vor, dass ein Fahrer ausrichten ließ, man solle ihn bitte erstmal noch eine Stunde im Bereitschaftszimmer schlafen lassen, aber heute scheinen alle fit zu sein. Der Kollege, der gerade erst seinen eigenen Herzinfarkt hinter sich gebracht hat, sitzt, als ich eintreffe, am Computer und tippt emsig die Hausbesuche in den Computer, die er in den letzte 12 Stunden bearbeitet hat. Gerade, als ich mich umgezogen habe, trifft der zweite ein: mit federnden Schritten, zum Dienst bereit – allerdings legt sich seine Stirn in Falten, als er mich erblickt. Ach, ich hätte Dienst? Nein, er wäre doch dran! Das Problem ist schnell geklärt, da ich auf dem Handy noch die Dienstmitteilung für heute habe. Er ist garnicht begeistert. Eine Kollegin aus seiner Verwandtschaft hatte ihn doch gebeten, ihren Dienst heute nacht zu übernehmen, nun habe er sich extra 2 Stunden tapfer durch den einen oder anderen Stau geplagt, und nun…? Tja… Er schimpft noch ein bisschen und beschließt dann, zurück nachhause zu fahren.

Der dritte, mein Fahrer, ist ein rüstiger Rentner, der die scheinbar doch hin und wieder auftauchende Langeweile seines umtriebigen Pensionärslebens trotz einer größeren Enkelschar und den Verlockungen eines eigenen Wohnmobils doch noch mit ein paar Diensten ergänzen möchte. Ein praktischer, fleißiger Mensch, der immer ein eigens gepacktes Täschchen mit sich führt, in der genau das enthalten ist, was man garantiert beim Patient und darüber hinaus braucht! Das Pulsoximeter fehlt im offiziellen Rucksack? Er hat ein eigenes dabei. Ein Kugelschreiber tut nicht? Im Täschchen wartet Nachschub. Ebenso ein Ersatzkittel, wenn unverhofft eine Patient fiebert und hustet. Man findet in der Dunkelheit die Hausnummer nicht? Eine leistungsstarke Stabtaschenlampe klemmt am Gürtel. Wer will auch freiwillig den gesamten Rucksack und die vielen Liter Infusionsflüssigkeit zu jedem Patient ins 5. Stockwerk hinaufschleppen? Die kann man immer noch holen, wenn dann doch etwas nötig ist…(Das Täschchen verströmt ein wenig Harry-Potter-Zauber: im Inneren ist es scheinbar viel größer als von außen sichtbar).

Die erste Patientin ist uns als „Beinproblem“ von der neuen, leider noch etwas insuffizienten Leitstelle angekündigt. Da man der alten Dame den Strom abgestellt hat, klingeln wir beim Nachbarn unten, der uns hereinläßt. Im 4. Stock eröffnet sich dann eine andere Welt: die fast blinde Achtzigjährige haust auf dem nicht ausgebauten Dachboden, das Mobiliar stammt aus einer Zeit irgendwann Anfang des letzten Jahrhunderts. Unzählige Teelichter beleuchten die rohen Dachbalken, und da es keinen Strom gibt, ist auch die Elektroheizung nicht zu gebrauchen. Telefonanschluss gibt es keinen. Die alte Dame ist durchaus noch rüstig und guter Dinge, hat ihre eigenen Vorstellungen, nein, eine Maske will sie nicht tragen, und nein, die Beine seien nicht das Problem, der Bauch schmerze. Um den Bauch und weiteres im Dämmerlicht der Kerzen zu untersuchen, müssen zunächst 6 Schichten von Kleidungsstücken hochgezogen werden, es ist klirrend kalt hier oben. Dazu leuchtet mein Fahrer mit der Stablampe. Alle Untersuchungen ergeben Normalwerte, nur der Bauch läßt Fragen offen, und darum bin ich froh, denn so gibt es einen Einweisungsgrund. Die Kerzenheizung in Kombination mit den rohen Dachbalken scheint uns eine mehr als waghalsige Kombination, und auch die Patientin ist sofort dafür zu haben, diesen Ort zu verlassen. Der einzige Sohn, der zuweilen vorbei kommt, ist nicht erreichbar, es gibt kein Handy, auch ist die Nummer nicht parat. Wir melden die Lady beim Internisten in der Klinik an, der verspricht, unbedingt auch den Sozialdienst einzuschalten, der Nachbar will den Sohn informieren, wenn dieser wieder auftaucht. Auf dem Weg zur nächsten Patientin ruft die Leitstelle an. Ob wir vielleicht wüßten, wo der diensthabende Arzt vom Nachbarbezirk bliebe? Man erwarte ihn dringend. Ach, dorthin gehört der versehentlich hier aufgetauchte Kollege! Wir hoffen, dass er noch nicht ganz wieder zuhause angekommen ist, das könnte dann dauern mit dem Dienstbeginn…

Die nächste Patientin liegt, umgeben von Papierstapeln, Flaschen, Getränkedosen, Stofftieren und noch allerlei mehr auf dem Sofa und fühlt sich schlecht. Zuerst denke ich, sie ist schwanger, aber das ist zum Glück nicht der Fall. Sie und ihr Freund sind beide Alkoholiker und bei ihr versagt die Leber zunehmend den Dienst, der Bauchumfang wächst durch die Flüssigkeitszunahme. Den um das Sofa herum verstreuten Notfallzetteln ist zu entnehmen, dass schon mehrere Kollegen erfolglos ihr Glück versucht haben, sie zu einem Klinikaufenthalt zu bewegen, auch wir sagen ihr freundlich und bestimmt, dass es so nicht besser werden könne und welche Möglichkeiten es noch gibt, aber sie weint und möchte zuhause bleiben. Morgen vielleicht… Der Freund bleibt, als wir unverrichteter Dinge wieder gehen, ausgestattet mit allen nötigen Papieren, um sie vielleicht doch dazu zu bewegen, in die Klinik zu gehen…

Der Patient, der uns jetzt erwartet, hat 40,5° Fieber, hustet und ist umgeben von einer treu sorgenden, großen Familie. Alle sind ungeimpft und erwarten die Zulassung des Totimpfstoffs. Da der Patient zwar alt und schwach, aber von seinen Untersuchungsergebnissen her stabil ist, beraten wir, auf was unbedingt zu achten ist und hoffen erstmal auf die symptomatische Therapie.

Auf dem Weg zum nächsten Einsatz erzählt mir mein Fahrer von den letzten WoMo-Ausflügen. Auch bei Regen sei es eine gerne gepflegte Angewohnheit, zusammen mit seiner Frau an einen See zu fahren und dann dort die schöne Aussicht zu genießen. Das bisschen Wasser von oben störe da nicht. Es gibt so viele schöne Orte! Da hat er recht. Ein Blick aus unserem Autofenster ist allerdings weniger anheimelnd, es ist nass, dunkel, kalt und dazu jetzt auch noch windig. Wir hoffen, dass der nächste Coronapatient auf keinen Fall im Einfamilienhaus wohnt, umziehen und Papiere im Garten ausfüllen macht keinen Spaß bei dem derzeitigen Wetter. Wir haben Glück, die Adresse, wo man uns schon sehnlich erwartet, ist eine Seniorenresidenz und es besteht auch erstmal nicht die Notwendigkeit für einen Schutzkittel. Ein paar Bewohner mit besorgten Gesichtern stehen schon am Eingang, „schnell, da braucht sie ein junger Bub!“ ruft eine eifrige ältere Dame und deutet in Richtung Dienstzimmer. Nanu, ein junger Bub? Ich stelle mir einen gut trainierten 80jährigen vor, aber zu unserer Überraschung hat man uns gerufen, weil es einem Pfleger nicht gut geht. Der junge Mann sitzt auf dem Boden und ist stockbetrunken. Die Heimleitung ist schon da, wir erfahren in etwas mühsamer Kleinarbeit die Vorgeschichte, die bis in die frühere Jugend zurück reicht. Leider gibt es keinen, der ihn abholen kommen kann oder möchte, aber zum Glück schafft die Heimleitung, den Vorfall auf mehreren Ebenen abzufedern. Alle Untersuchungsergebnisse sind so, dass man ihn nicht sofort einweisen muß und es wird beschlossen, dass der „Bub“ unter dem hin und wieder nötigen Blick durch die Nachtwache hier seinen Rausch ausschlafen soll. Was soll man dazu sagen…

Die Nacht wird lang, ein Stündchen Pause unterbricht die zahlreichen Einsätze bei Zahnschmerzen und Corona im Flüchtlingswohnheim, einer Blutdruckkrise im betreuten Wohnen, diversen weiteren Coronapatienten, mehrheitlich mit leichteren Verläufen und einer Leichenschau mit Kripo. Unser letzter Patient lebt in einem liebevoll gestalteten Zuhause, hat eine fortgeschrittene Tumorerkrankung und fühlt sich so richtig schlecht, seit er vor zwei Tagen vom Hausarzt ein Fentanyl-Schmerzpflaster erhalten hatte. Vorher ging es ihm eigentlich ganz gut, er hatte keine Schmerzen, war mobil und konnte seinen Alltag gestalten. Aber jetzt – Schwindel, Übelkeit, Appetitlosigkeit, die ganze Zeit sei er nur müde. Warum er das Pflaster denn erhalten habe, so ganz ohne Schmerzen? Ach, der Hausarzt meinte, das werde ihm gut tun! Ja, halt für die Psyche, ergänzt die Ehefrau. Vermutlich, denke ich, fallen die Nebenwirkungen nicht so sehr ins Gewicht, wenn starke Schmerzen durch das Pflaster gebessert werden und die anderen unerwünschten Effekte lassen nach einer Weile ja auch nach. Wenn es einem vorher aber garnicht so schlecht ging? Wir sprechen über Vor- und Nachteile, und schließlich entscheidet der Patient sich, es doch erstmal „ohne“ zu versuchen. Nach zwei Tagen gibt es auch keine Probleme mit einem plötzlichen Absetzen.

Mein Fahrer, immer noch aufrecht wie eine Eins, freut sich auf der Rückfahrt zur Wache auf einen kleinen Ausflug mit WoMo am Nachmittag. Mir reicht die Aussicht auf ein gutes Frühstück und mein Bett zuhause.


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Weihnachtliches Roadmovie – unterwegs im ärztlichen Notdienst

Der Aufenthaltsraum in der Wache ist festlich geschmückt – ein prachtvoller Weihnachtsbaum glitzert, leuchtet und verbreitet Wärme. Nur ist gerade keiner da, den das erfreuen könnte, alle sind unterwegs. Und auch wir dürfen uns gleich nach dem Umziehen auf den Weg machen – ich fahre heute mit einem müden jungen Mann, der ziemlich erkältet ist. Nein, nein, kein Corona, meint er, der Schnelltest am Morgen war negativ. Hoffen wir mal auf die Verläßlichkeit der Chemie und verstecken uns für 12 Stunden hinter unseren FFP2Masken.

Die erste Patientin, zuhause liebevoll von der Tochter versorgt, leidet unter den Nebenwirkungen der Chemotherapie letzte Woche, die sie wegen einer Tumorerkrankung erhält. Die dauernden Durchfälle schwächen sie sehr. Da ist gut abzuwägen. Eigentlich ist ihr Zustand soweit stabil, sie kann essen, trinken und in kleinem Radius auf den Beinen sein. Ins Krankenhaus zu gehen, ist da keinesfalls eine gute Wahl. Wir besprechen, wie sich die Balance vielleicht zuhause halten läßt.

Der nächste Patient hat einen aggressiven Hirntumor und zunehmend Mühe zu sprechen. Die Ehefrau drückt mir den letzten Entlaßbrief aus der Klinik von vor einer Woche in die Hand, ob ich nicht etwas verschreiben könnte? Im Brief ist aufgeführt, was dem Patient an Medikamenten weiter empfohlen ist. Wurde das noch nicht verschrieben? Der gestresste Hausarzt war immerhin kurz da gewesen und hatte eine Spritze gegeben, allerdings nichts verschrieben. „Ich bringe ihn um!“ ruft die Gattin, und fängt im gleichen Moment an zu weinen. Es ist alles zu viel, es geht alles so schnell, man kann nicht mehr operieren…Wir brechen eine Lanze für den sonst doch tüchtigen Hausarzt, die Medikamente, die man schon seit einer Woche hätte nehmen können, werden verschrieben, die Telefonnummer vom SAPV aufgeschrieben. Die spezielle ambulante Palliativversorgung wäre hier genau die richtige Unterstützung: Tag und Nacht erreichbar, mit einem Team incl. Arzt, die den Patient gut kennen, und gerade, wenn nicht mehr alles gut werden kann, die Mittel haben, zu erleichtern und die Versorgung zuhause zu ermöglichen.

Die nächste Patientin liegt im Sterben, ist nicht mehr ansprechbar. Zwei Töchter sind zugegen und ratlos. Es gibt keine Vollmachten, keine Patientenverfügung. Bei der Untersuchung fällt auf, dass die Patientin viele Schürfungen, teilweise große Hämatome hat, unversorgte Wunden an beiden Armen und Beinen, die man hätte verschließen können, als sie frisch waren, und da, wo sie aufliegt, die Haut bereits schwarz ist oder sich ablöst. Der Pflegedienst käme einmal am Tag. Ja, sie sei oft gestürzt. Ob ich sie nicht einweisen könnte? Rein rechtlich kann nicht ich entscheiden, ob die Patientin palliativ oder kurativ behandelt werden soll. Wir könnten es mit der Palliativstation versuchen in der nächsten Klinik, aber die Entscheidung, wie es weiter gehen soll, kann ich der Familie nicht abnehmen. Wir bestellen nach einer Grundversorgung einen Krankentransport. Mich bekümmert, dass die Kranke so dermaßen schlecht versorgt ist, da scheint diese Lösung zumindest pflegetechnisch die beste zu sein…

Die Leitstelle ruft an: die Polizei erwartet uns bei einer verstorbenen jüngeren Frau um die 40. Die Mutter steht vor der Tür, sie hatte immer wieder mit der allein lebenden Tochter telefoniert, während diese mit ihrer Covid19-Infektion zuhause lag, gestern habe sie recht schwach geklungen, aber keinen Arzt gewollt, heute dann habe sie sie nicht erreichen können…Die Verstorbene, stark übergewichtig, liegt im Bett, ein paar Trauben, ein Stück Stollen neben sich, ein großes Plüschtier an der Seite. Die Leichenstarre ist bereits voll ausgeprägt, und da die Leichenschau unbekleidet erfolgen muß, schneide ich, in Schutzkleidung auf dem Bett herumkletternd, den Schlafanzug mit einem scharfen Messer aus der Küche auf. Einer der Polizisten hat sich ebenfalls in Schutzkleidung gehüllt und hilft mir beim Drehen, obwohl er das nicht müßte. Die Mutter steht an der Balkontür, hin und her gerissen zwischen Kummer und Ärger, schüttelt den Kopf, weil es so unordentlich ist in der kleinen engen Wohnung und weint, weil nichts mehr zu heilen ist.

Auch der nächste Patient ist tot, trotz seines jungen Alters Ende 30 im Pflegeheim wegen seiner psychiatrischen Erkrankung untergebracht. Das Pflegepersonal ist feiertäglich unterbesetzt. Der junge Mann, der mir mit den Akten helfen soll, war gerade 2 Wochen im Urlaub, die Nachtwache hat weder den Todeszeitpunkt aufgeschrieben noch ist sie erreichbar (verständlich – nach dem Nachtdienst braucht man unbedingt eine Mütze voll Schlaf), in der Pflegedokumentation ist seit 4 Tagen kein Eintrag mehr gemacht worden. Irgendjemand hat ein Morphinpflaster geklebt, ach ja, palliativ, dann wird nichts mehr gemacht (so ist das ja eigentlich nicht gedacht…). Der Verstorbene hat immer wieder versucht, sich das Leben zu nehmen, höre ich, und sehe vielerlei verschorfte alte Wunden und Prellmarken, der Mann ist bis auf die Knochen abgemagert. Das letzte dokumentierte Gewicht war 37kg. Da kann ich keinen „natürlichen Tod“ bescheinigen, also muß die Kripo antreten…

Es geht weiter durch Nieselregen zum nächsten Patient, der Rückenschmerzen hat, ach, es wird einfach nicht besser, was solle er noch tun, seit 3 Tagen liegt er im Bett (ganz schlecht, um einen Rücken wieder fit zu bekommen), auch Reizstrom, Krankengymnastik, Medikamente, MRT, dies und das hätten garnicht geholfen…Untersuchungstechnisch geht es ihm nicht schlecht, alles ist beweglich, der Patient hat uns auch relativ dynamisch die Tür geöffnet. Ich bewundere die Versorgung, die er bisher schon hatte, hier und da lässt sich noch ein bisschen feinjustieren, und siehe da, der Patient lässt sich auf die Hoffnungsschiene holen, vielleicht tut ihm auch einfach der nette Besuch gerade gut, auf jeden Fall können wir ihn, getröstet, dass die ausführliche Behandlung bald anschlagen wird und ein kleiner Spaziergang hier und da, kombiniert mit der wohligen Wärme eines ABC-Pflasters, alles zum Guten führt, wieder verlassen.

Mein Fahrer schnieft, die Nase läuft. Er fühlt sich nicht. Jetzt wäre doch eine Pause dran, meint er, aber die Leitstelle pocht auf einen weiteren Einsatz, die Polizei wartet auch dort bereits auf uns. Ein Familienvater Anfang 40 mit einer Autoimmunerkrankung, vor 4 Tagen geboostert, ist plötzlich verstorben. Am Morgen hat ihn die 5-jährige Tochter leblos auf dem Sofa gefunden. Die Familie ist von der Katastrophe geschüttelt, hat zum Glück Unterstützung aus dem Verwandten- und Freundeskreis. Auch hier müssen wir die Kripo dazu bestellen – wenn die Möglichkeit besteht, dass die Todesursache in einer medizinischen Anwendung liegt, kann kein „natürlicher Tod“ bescheinigt werden.

Die Leitstelle schüttelt einen weiteren, sehr bedürftigen Patient aus dem Ärmel. Ein verstopfter Katheter, nur schlappe 15km entfernt, wartet seit Stunden. Mein Fahrer protestiert. Er braucht jetzt seine Pause. Ich verhandle mit der Leitstelle: hat der Patient Schmerzen? Ist einer von unseren drei anderen Kollegen gerade dort in der Nähe unterwegs? Falls das alles nicht geht, fahren wir hin. Man melde sich noch mal, wenn nötig, wird uns versprochen. Da sich keiner mehr meldet, schaffen wir es bis zur Wache. Ein Päuschen mit einem verspäteten Mittagessen (es ist inzwischen 15.45) ist immer was feines.

Danach geht es weiter. Erwachsene Kinder, die ihre Eltern zum Fest besuchen, und Mißstände feststellen. Helferinnen aus dem Ausland, die kein Wort verstehen, nicht mit dem Patient geschweige denn uns kommunizieren können. Telefonate mit Angehörigen in der Ferne, um Informationen zu erhalten. Und schließlich eine Anforderung zum Besuch bei der Patientin vom Morgen, die wir eigentlich jetzt auf der Palliativstation der nahen Klinik vermutet hatten. Zwar war das mit der ärztlichen Kollegin in der Klinik so besprochen, aber der Krankentransport hatte sich geweigert, sie mitzunehmen. Da die Rechtslage ungeklärt sei, würde man sie reanimieren müssen, im Ernstfall. Der Notarzt war nachgefordert worden. Dieser hatte sich fürs Palliativkonzept entschieden, auf Anraten der Angehörigen. Diese sind verärgert, dass ich aufgrund der ausgedehnten Verletzungen und Stürze in jüngster Vorgeschichte auch hier die Kripo anfordern muß, weil es grob fahrlässig wäre, einen so vernachlässigten und verletzten Verstorbenen unter „natürlichem Tod“ zu verbuchen. Auch wenn man es gerne täte, kann man nicht immer entscheiden, was die Angehörigen sich wünschen. Mein Fahrer, gerade erst mit dem Abi fertig, schlägt sich auf die Seite der Angehörigen (was ich zwar verstehen kann, aber auch ziemlich ärgerlich finde. Empathie ist immer richtig, aber nicht ein Kritisieren meiner Entscheidungen in Anwesenheit von Patienten oder Angehörigen). Nun ja.

Was hat das jetzt alles mit Weihnachten zu tun, außer dass es an dem Tag stattfindet, an dem man Weihnachten feiert? Ich lasse mal Fulbert Steffensky kommentieren: „Der Mensch zählt in dem, was er tut….Er kann mit Gott das Leben wärmen, das Gebeugte aufrichten, das Recht lieben und der Güte dienen…“ Das kann man versuchen, auch wenn es nicht immer gelingt, und sich damit trösten, dass Weihnachten ja eigentlich heißt: Gott ist Mensch geworden und hat unser Leben geteilt mit auch all seinen Schräglagen und Mißständen. Das ist sowieso nachhaltiger, als sich zu fragen, ob man jetzt Zeit für einen Braten im Angesicht eines Weihnachtsbaums hatte. Was mich bekümmert, auch noch Tage danach, ist allerdings die Nachlässigkeit mancher Umgangsformen, das Vergammelnlassen von Menschen, das Sichnichtzuständigfühlen, das sich hier und da stachelig in seinen Wirkungen zeigt.


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Reisen in diesen Zeiten…

Neujahr, 4 Uhr morgens. Ich stehe mit einer dicken Reisetasche und 15 Paketen Verbandsmaterial am Flughafen. Es herrscht verschlafene Ruhe. Umweltfreundliche Stille. Im Rucksack warten elektronisch erstelltes Visum, negativer PCR-Test, Anmeldung beim kenianischen Gesundheitsministerium etc. etc. etc. Eigentlich fühle ich mich gut vorbereitet. Die Fluglinie sieht dies jedoch nicht so. Das PCR-Testergebnis ist auf deutsch verfasst. Das geht garnicht. Ich weise darauf hin, dass auch auf Bantu oder Chinesisch die Worte PCR-Test, negativ, mein Name und das Datum in Zahlen dieselben wären, aber….wenn ich nicht sofort eine englische Übersetzung vorweise, muss ich zurück nachhause fahren, sagt mir der motzige Herr am Schalter.

Neujahr, 4.15 morgens. Was nun? Die einzige Lösung für das Problem könnte die Laborbereitschaft in dem Krankenhaus sein, wo ich den Test gemacht habe, zum Glück dort, denn all die anderen Labors und Teststellen sind jetzt natürlich nicht erreichbar…Ich rufe dort an. Die Laborbereitschaft hat ein weites Herz und Verständnis. Stellt in Windeseile eine englische Übersetzung zusammen und faxt diese an die Fluglinie. Endlich ist das Blatt angekommen. Wird akzeptiert. Es kann losgehen. In Kenia wieder Vorweisen der diversen Blätter und QR-Codes. Endlich bin ich da.

Die Rückreisevorschriften wandeln sich wöchentlich. Die Kollegen, die zwei Wochen vor mir abgereist sind, hatten noch vergeblich versucht, sich auf einer afrikanischen Plattform einzuloggen, die dann aber als gehackt und nicht funktionsfähig geoutet wurde. Inzwischen hat nämlich das kenianische Gesundheitsministerium beschlossen, dass niemand das Land ohne negatives Testergebnis verlassen darf. Als ich dann zur Abreise anstehe, funktioniert die Plattform wieder. Man muß, um ausreisen zu dürfen, das negative Testergebnis dort hochladen, einen QRCode generieren und diesen dann ausdrucken. Je näher der Abreisetermin rückt, desto kribbeliger wird man als Reisender. Wird Strom da sein? (Dann musst du halt zum Ausdrucken in ein Hotel fahren, das einen Generator hat…schlägt jemand Findiges vor), wird der Computer funktionieren? Der Drucker? (alles nicht garantiert). Freitags vor Abreise fahren wir zum Testen. 2 Stunden Weg durch die allgegenwärtigen Nairobistaus, im Auto mit einer der hustenden, niesenden und tropfnasigen Schwestern und der gestern mit „bad flu“ erkrankten Hausangestellten (wobei die beiden nicht getestet werden, sondern nur denselben oder einen ähnlichen Weg fahren wollen), obwohl das Labor garnicht so weit entfernt ist. Fast genauso lang zurück. Das Testergebnis soll per email kommen.

Warten. Nachdenken über die Möglichkeiten. Nach 6 Wochen ohne Abstand, kaum Lüften, ohne Extra-Kittel bei verdächtigen Patienten, dafür aber mit vielen Hustenden, die ihre Masken entweder garnicht oder unter dem Kinn tragen, ist man sich nicht so sicher, wie der Test ausfallen wird. Abends um 10 ist er da und negativ (drei Luftsprünge!), aber das Hochladen auf der Plattform funktioniert nicht. Zu dritt versuchen wir’s, der schweizer Kollege, tief über den Bildschirm gebeugt, fragt, wie nur ein Durchschnittsmensch ohne medizinische Vorbildung mit diesem System zurecht kommen soll? Allein die Auswahloptionen für die Tests…Zum Trost: das Labor arbeitet auch am Samstag. Morgen rufen wir an.

Ja, ja, sagt der Kollege im Labor am Samstag, kommt alles noch, er schickt die nötigen Daten, auch auf die Plattform, das müßte ich nicht machen. Dort taucht dann auch tatsächlich nach einer weiteren Warteweile ein QRCode auf. Der Drucker tut brav sein Werk. Und die Papiersammlung scheint komplett incl. der Voranmeldung beim RKI mit Registrierungsnummer. Am Abend, nachdem ich mich in einer Schlange, die die halbe Gebäudelänge umfaßt, endlich ins Flughafengebäude geschlängelt habe, zeigt sich allerdings, daß doch noch etwas fehlt. Den QRCode will keiner sehen, dafür aber einen Corona-Schnelltest. Ach? Das stand nirgends. Und der PCR Test ist doch frisch? Nein. Entweder noch einen Abstrich, jetzt sofort, oder hierbleiben. Letzteres geht garnicht, ich hätte nicht mal mehr ein Bett, weil die beiden neuen Kollegen gerade angekommen sind. Am Flughafen gibt es den Test nicht, also mit dem ganzen Gepäck in ein Taxi, vollgestopft mit ärgerlichen Fluggästen, die auch von dieser Option überrascht wurden, und ab zu einer Klinik. Die sich als drei Zelte im Garten erweist, dort wieder warten, nochmal 35 Dollar bezahlen, wieder warten. Endlich mit dem gewünschten Ergebnis zurück, gerade noch rechtzeitig zum Abflug.

Zurück in Deutschland will niemand irgendein Papier sehen. Man nimmt seinen Koffer vom Band und verschwindet. Selten habe ich mich so gefreut, wieder zuhause zu sein…


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10 vor 3 im Dressingroom

Die Uhr im Verbandsraum zeigt 10 vor 3. Ein jüngerer Mann schiebt eine vermummte Gestalt im Rollstuhl herein. Ein Tuch um den Kopf gewickelt, lehnt die Kranke etwas schief in dem Gefährt. Schmerzen in der rechten Seite, berichtet der Ehemann der 27jährigen, sie könne sich kaum noch bewegen. Seit vier Tagen werde es schlimmer. Die Patientin reagiert nicht auf Ansprache, nur ein Kneifen am Brustbein führt noch zu ungezielten Bewegungen.

Wir legen die Kranke auf eine der Liegen. Die Vorgeschichte ist schnörkelreich. Gerade wurde sie aus einem Krankenhaus entlassen, wo man sie auf „Typhoid“, eher eine Verlegenheitsdiagnose, behandelt hatte. Ohne Erfolg. HIVpositiv sei sie auch. In der Untersuchung zeigt sich eine rechtsseitige Lähmung von Arm und Bein, der Blick ist konstant nach links gerichtet. Ich bitte den CO der HIVAbteilung hinzu. Er vermutet eine Enzephalitis, Kryptokokken oder einen Abszeß.

Wir sind uns einig, dass die Patientin bei uns nicht gut aufgehoben ist. Wir bitten die Headnurse zum klärenden Gespräch mit dem Ehemann. Schickt sie in einem Taxi, sonst wird sie nicht aufgenommen, ist die Empfehlung. Eine nicht ansprechbare 27jährige mit Halbseitenlähmung im Taxi schicken? Aber immer noch dauert der Klinikstreik an. Eine völlig überlaufene Klinik gibt es noch, wo wir sie hinschicken könnten, aber mit dem Krankenwagen hat sie keine Chance. Wir rufen an, schlägt die Headnurse vor. Chronischer Zustand, lautet die Antwort, nehmen wir nicht.

Eine Lähmung seit zwei Tagen ist kein chronischer Zustand, sage ich. Schickt sie einfach so hin, empfiehlt die Headnurse, lange erfahren in dem ganzen Kummer mit Streik und Abweisungen – wenn sie selbst kommt, ohne jede Spur einer Vorbehandlung, müssen sie sie nehmen. Na denn. Ich bin versucht, nichts mit dieser Entscheidung zu tun haben zu wollen.

Patrick, 62 Jahre, war letzte Woche schon einmal da. Mit einer zu großen Prostata, die schon lange drückt und einem Harnwegsinfekt. Da saß er drei Stunden lang im überfüllten Wartebereich zwischen hustenden Anderen. Heute hustet er selbst. Hat Fieber. Atemnot. Die Sättigung ist bei 89% angekommen. Ich kenne das Bild von zuhause: älterer Herr, entsprechende Symptomatik. Zuhause hätte man einen Test. Aber auch so geht es ihm so schlecht, dass wir ihn einweisen müssen. Und wieder dieselbe Problematik: wenn sein Bruder ihn nicht zum Taxi stützt und dann, völlig ohne Vorbehandlung, ins Krankenhaus, wird er nicht aufgenommen.

In mir sträubt sich alles. Meldet wenigstens an, dass ihr einen jungen Taxifahrer braucht, wenn der sich ansteckt, bringt es ihn nicht so schnell um, sage ich. Lautes Gelächter der Dressingroommannschaft. Ein Lachen aus Verzweiflung über die Umstände. Den nächsten Patient kann ich nicht schallen, weil im Sonoraum eine tote Siebenjährige liegt. Die bekümmerten Eltern warten vor der Tür auf die Abholung.

Nebenbei – ich versuche gerade, die vielen Platzwunden am Schädel eines Motorradunfalls zu nähen, während der Patient fast von der wackeligen Op-Liege fällt – höre ich, draußen liege noch ein Notfall. Eine Stichverletzung. Wo der Stich denn sei, frage ich beim Nähen. Im Brustkorb, sagt mir eine der Schwestern entspannt. Der Patient war bei Nacht schonmal bei einem Healthpost, da wurde die Wunde zugenäht. Ich bitte, einen der Kollegen zu dem Patient zu schicken und bitte dringend um Eile. Und tatsächlich – endlich habe ich den Genähten abfahrbereit, denn auch er dämmert langsam ein – hat der junge Mann mit der Stichverletzung einen Puls von 115, eine Sauerstoffsättigung von 88% und ganz offensichtlich eine Verletzung der linken Lunge. Diese beiden bekommen wir dann tatsächlich noch mit der Ambulanz unter, offenbar ist da deutlicher, dass es sich nicht um chronische Zustände handelt…Gerade rechtzeitig, als die Blutspuren von der Nähaktion weggeputzt sind, taucht eine Abordnung der Regierung auf und möchte eine Kontrollbegehung machen: drei geschniegelte, gebügelte Ladies in feschen Kostümen auf geschäftig klappernden Absätzen. Vielerlei wurde bemängelt, heißt es hinterher, aber vor allem, dass die Patienten, auch die mit Husten und Fieber, im Wartebereich eng beieinander sitzen wie die Ölsardinen. Aber wen soll man wegschicken?

Die Uhr im Dressingroom zeigt immer noch 10 vor 3. Wie gestern und vor vier Wochen auch schon. Und vor drei Monaten, berichtet meine Übersetzerin. Irgendwie hat sich noch keiner zuständig gefühlt, sie mit einer neuen Batterie zu bestücken. Was nicht so kompliziert wäre wie die Unterbringung von schwer kranken Patienten. Aber in Wirklichkeit ist es ja erst 11.15 Uhr. Die Zeit verläuft scheinbar nicht immer geradlinig…


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Ein Tag…

…im Baraka-Healthcenter im Mathare-Valley-Slum (für die Chirurgin – die Auswahl für die Kinderärztin oder die Ultraschallexpertin sieht dann nochmal ein bisschen anders aus) – es stellen sich vor: eine ältere Patientin mit Rückenschmerzen ( die den ganzen Tag Gemüse verkauft), eine jüngere Patientin mit Rückenschmerzen (die in einem Hotel arbeitet), eine alte Dame mit Hüftschmerzen, ein jüngerer Mann mit Wunde am Bein, die mit Curry bestreut wurde (farblich interessant, aber nicht heilsam), ein älterer Herr mit Darmentzündung, ein Schilddrüsenproblem (das sich hier nicht lösen läßt), ein Verbandswechsel bei einem kleinen Mädchen, nur am Bein, zum Glück, das während der gesamten Prozedur wie am Spieß schreit, die Tante solle die Polizei holen, ganz schnell, damit die Muzungu (ich) verhaftet wird, sie sei Kenianerin ( die Tante und die Übersetzerin können kaum an sich halten vor Gelächter), Verbrennungen im Intimbereich bei einem jungen Mann, seit einer Woche unbehandelt und entzündet, ein Verbandswechsel bei einem Abszeß an der Pobacke, ein junger Mann mit alter Wunde am Bein, eine Verbrennung an Bauch und Po bei einem kleinen Jungen, ein Schulmädchen mit einem falsch eingegipsten, aber trotzdem gut verheilten Unterarmbruch, ein bösartiger Brust-Tumor bei einer alten Dame, die bisher auf Lungenentzündung behandelt wurde (was nicht half), ein junger Mann, der vor einem halben Jahr einen fixateur externe hatte und jetzt eine Osteomyelitis, eine Platzwunde am Kopf bei einem von der Polizei geschlagenen Patienten ( vermutlich nur ein Teil der Geschichte), ein junger Mann mit einem riesigen Bluterguß in der Leiste bei anderswo operiertem Lipom, eine ältere Dame mit Knöchelfraktur, die wir insgesamt 5mal bitten, die Maske wieder aufzusetzen, eine junge Frau mit einer Schleimbeutelentzündung an der Schulter (vom Tragen schwerer Dinge), ein jüngerer Mann mit einer Metallplatte im Unterschenkel und eiternder Wunde ebendort (ganz schlecht), ein gebrochener Unterarm bei einem Baby, eine Oberschenkelfraktur bei einem Schuljungen (bei der als preiswerteste Variante nur der schwere, unpraktische Becken-Bein-Gips bleibt (siehe Foto, die weißen Hände sind meine beim Halten des Beins in der richtigen Position), ein kleines Mädchen mit Verbrennung an der linken Hand (lautes Gebrüll von der Patientin, dann ebenfalls vom Brüderchen, das bei der Übersetzerin zwischengelagert wird und schließlich noch, um das Trio zu vervollständigen, ein anderes Kleinkind, das auf seinen Gips wartet), Nackenschmerzen bei einem Bauarbeiter, Rückenschmerzen bei einer Verkäuferin, ein Gipswechsel bei einem hustenden Kind, ein älterer Herr mit Unterschenkelgeschwüren, verkrustet und eitrig, eine junge Frau mit Krampfadern, die den ganzen Tag stehen muß, eine 19jährige, bei der der 1. und 2. Lendenwirbel zusammen gewachsen sind, mit Rückenschmerzen, eine mittelalte Frau mit metastasiertem Brustkrebs, ein junger Mann mit Husten (der sich als Tuberkulose herausstellt), eine Warze am Finger einer älteren Dame, ein entzündeter Finger bei einer Schülerin und zu guter Letzt: der kleine Fidel Castro (doch, der Einjährige heißt wirklich so) mit einer dicken Eiterbeule an der Stirn, von der er befreit wird (zum Schluß also nochmal ein höherer Geräuschpegel).

Bei so vielen Problemen anderer Art vergißt man hin und wieder, dass es da noch eine Krankheit gibt, die mit C anfängt, sowieso hier nicht nachweisbar, und ein bißchen untergegangen in dem ganzen anderen Gehuste hier bei Tuberkulose und Lungenentzündung und vor allem der elend schlechten Luft hier… Aber:

Wie war dieses letzte Jahr für dich, frage ich Charles, unseren Fahrer. Oh, es war hart, sagt er, ein wirklich schwieriges Jahr. Ich habe so viele Freunde verloren an das Virus. Wie konntest du wissen, dass es Corona war, wo es doch fast keine Tests gibt, möchte ich wissen. Ach, die Regierung sagt einfach, bei jedem, der die entsprechende Symptomatik hat, muß es Covid sein. Und weißt du, erklärt er, sie mußten, als es ihnen mit Atemnot schlecht ging, in die Klinik. Das war schonmal ein Problem, weil so viele Kliniken gestreikt haben. Aber wenn es einem ganz schlecht geht, testen sie einen dann doch. Und dann hat man sie auf irgendeine Isolierstation gelegt und niemand hat sich um sie gekümmert. Das Personal hatte Angst vor ihnen. Er macht eine Pause. Ich glaube, sie sind einfach an Vernachlässigung gestorben…sagt er nach einer Weile.

(weitere Informationen über unsere Projekte unter http://www.german-doctors.de)


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Nachtaktivitäten – Roadmovie 5

Unterwegs im ärztlichen Notdienst. Der erste Patient sorgt bereits für Diskussionen. Mein Fahrer, jung und sehr vorsichtig, was den Infektionsschutz angeht, hält die Hausbesuchsanforderung in der Hand. „Wollen sie da nicht anrufen? Das lässt sich ja sicher auch telefonisch klären.“ Der Patient, noch jünger als der Fahrer, coronapositiv, hat seit 3 Tagen hohes Fieber. Bei seinem Geburtsdatum vermutet der eine oder andere einen Männerschnupfen. Einen potentiellen Jammerlappen. Warum sich der Infektionsgefahr aussetzen? Aber: ich kann eine Lunge nicht per Telefon abhören. Das Argument überzeugt. „Ich geh aber nicht mit rein,“ sagt mein Fahrer. Natürlich nicht. Selbst ich gehe, obwohl vollverkleidet, nicht hinein, wenn der Patient zur Tür kommen kann. Und die Versicherungskarte kann man auch einen Treppenabsatz tiefer einlesen. Wir fahren hin. Der Patient hat Atemnot. Die Lunge klingt garnicht gut. Die Sauerstoffsättigung ist im unteren Normbereich. Die Einweisung in die Klinik ist ihm ganz recht, erstmal nur für weitere Diagnostik. Hin und wieder sieht die Lunge in der Bildgebung schlechter aus, als man es vermutet hätte. Lebt noch jemand im Haushalt? Ja, die Freundin, die ist aber bei der Arbeit. Wie kann das sein, wenn er positiv getestet und erkrankt ist? Na, sie habe keine Symptome. Und arbeitet im Einzelhandel. Testergebnis gab es noch keines, man warte darauf. Wir stellen uns jetzt nicht vor, wen sie alles angesteckt haben könnte.

Der nächste Patient lebt im Seniorenheim, er atme schlecht. Im selben Heim war ich bereits vor einer Woche, da waren es 10 Patienten mit verdächtiger Symptomatik, zwei weitere bereits positiv. Heute sind die Ergebnisse des Reihenabstrichs da: es sind über 20, die ein positives Testergebnis haben. Der anzuschauende Patient quält sich mit der Atmung, ist garnicht mehr ansprechbar, trotz Sauerstoffgabe hat er eine Sättigung von nur 82%. Sehr ungesund auf Dauer. Warum wir jetzt erst angefordert worden seien? Sie habe am Morgen schon angerufen, sagt die Pflegerin. Da der Sohn keine weiteren Maßnahmen mehr wolle, habe der Kollege per Telefon Sauerstoff und Fiebersenkung angeordnet. Ich rufe den Sohn an. Doch, vor einer Woche war der Vater noch mobil, man konnte sich mit ihm unterhalten. Und nein, eigentlich wolle er nicht, dass der Vater so erstickt. Sich so quälen muß. Und wenn er beatmet wird, ist er sediert, er wird es nicht spüren. Wird viel weniger spüren als im Moment, wo selbst bei 30 Atemzügen pro Minute und Sauerstoff nicht genug Luft zu bekommen ist. Ich soll ihn einweisen. Gut so. Der Kollege in der Klinik hat noch genügend Kapazitäten. Es will wirklich gut abgewogen und besprochen sein, was da in der Patientenverfügung steht. Das kategorische „es soll nichts mehr gemacht werden“ ist zuweilen weder barmherzig noch angebracht. Oft ist es nötig, den Gesichtsausdruck des Patienten zu sehen, um eine angemessene Entscheidung zu treffen.

Die nächste Patientin ist bereits tot. In Heim Nr. 2 sind inzwischen alle (!) Patienten und 80% des Personals positiv getestet. Die Schwester erzählt mir von einer 85jährigen, die jetzt, nach Ende der Beatmung in der Klinik, auf dem Weg der Besserung und wieder aktiv sei. Na, mal eine gute Nachricht!

Der nächste Patient in Heim Nr. 3 befindet sich in infektionsfreier Umgebung. Hier hat es besser geklappt mit dem Infektionsschutz, es ist kein ausgewiesener Demenzbereich, in dem er sein Zimmer hat, die Bewohner verstehen noch, wo man vorsichtig sein muss. Aber auch er hat Mühe mit dem Atmen. Seit 3 Wochen wird das Herz schwächer, zwar hat der Hausarzt die Medikamente umgestellt, aber das reicht offensichtlich nicht, der Patient hat in dem Zeitraum 14 kg zugenommen an Wassereinlagerungen. Die Ödeme gehen bis unter die Achselhöhlen. War denn mal der Hausarzt vor Ort und hat ihn angeschaut? Die Pflegerin erzählt, scheints habe er noch nicht zurück gerufen. Vor einer Woche schon hätten sie einen Hausbesuch angefordert. Ich stelle mir den Kollegen vor, der zwischen Infektionsschutzmaßnahmen, verunsicherten Patienten und erkrankten Arzthelferinnen rotiert und nicht mehr weiß, wie er das alles schaffen soll. Wir weisen den Patient ein. Und das ist ihm ganz recht. Der Patient ist ein geistig wacher, reflektierter Mann, wenn ihm auch das Wasser bis zum Hals steht.

Wer sich bis hierher durch diesen kleinen Bericht gekämpft hat, verdient ein Lob. Wer mag das alles noch hören? Überhaupt, das C-Wort, es hängt einem aus den Ohren heraus. Und trotzdem denke ich, es ist gut, davon zu erzählen, wie es an den Stellen aussieht, wo die Folgen von Corona offensichtlicher sind als in der Fußgängerzone oder im Reisebüro. Was wird nur aus den Patienten, die keinen Fürsprecher haben, der sich auf die Zehenspitzen stellt und notfalls dreimal darum bittet, dass der Kranke angesehen wird? Und auch nicht erst in einer Woche, sondern heute? For crying out loud…Doch, manchmal würde ich nach einem solchen Dienst gerne laut schreien.


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Roadmovie 4 – unterwegs, nein, nicht im Coronamobil!

Die Arbeit, die ich seit Jahren oft und gerne mache, findet ebenfalls immer wieder mal „on the road“ statt: zu den Zeiten, an denen die niedergelassenen Ärzte nicht erreichbar sind, also nachts und am Wochenende, fahren wir auf Anforderung (Tel. bundesweit 116 117) zu Patienten, die zu krank sind, sich selbst auf den Weg in die Klinik zu machen. Man könnte denken, es wird weniger mit der Corona-Thematik, aber…

Der erste Patient ist uns als onkologisch mit starker Unruhe angekündigt. Im Pflegeheim angekommen, frage ich wie gewohnt, ob jemand im Zimmer (die Familie ist anwesend) Husten, Fieber oder sonstige Erkältungssymptome hat? Nein, nein, alles gut, sagt die Pflege. Sonst eine „Keimbesiedlung“ (auch bei den multiresistenten Keimen sollte man sich verkleiden, denn der nächste Patient, den wir besuchen, möchte auch davon gerne verschont bleiben…)? Nichts, wirklich, alles sei gut. Wir marschieren ins Zimmer, der Patient teilt uns als zweites mit, sich erkältet zu fühlen und hustet ziemlich feucht. Hat überhaupt jemand Fieber gemessen? Bisher nicht. Wir messen: 39,5. Na denn. Alle wieder raus, desinfizieren, verkleiden, wieder rein. Da im Moment eigentlich weder Grippe- noch Erkältungszeit ist, ist das naheliegendste, na,….? Die Familie ist nicht begeistert, dem Patient geht es so schlecht, dass wir ihn einweisen müssen.

Die nächste Patientin in der Sammelunterkunft hat seit 5 Tagen Fieber. Der Ehemann jongliert die zwei kleinen Kinder und hat gut zu tun, das Paracetamol aus den spielfreudigen Händchen der Zweijährigen zu befreien und den Dreijährigen zu beruhigen, weil man sonst sein eigenes Wort nicht versteht neben dem Gebrüll, schon garnicht die schwache Stimme der Patientin. 38,9, Kopfweh, Rückenschmerzen. Wann sie aus Afrika gekommen seien? Vor einem Jahr. Hat sie in den letzten 5 Tagen schonmal einen Arzt gesehen? Nein. Beide schütteln die Köpfe. Da die Patientin sowohl Malaria als auch, na, was wohl? haben könnte, nehme ich nach der Untersuchung noch einen Abstrich und wir füllen den ganzen Papierkram aus. Ja, das hätte der Mann letzte Woche auch gemacht, wird mir danach erzählt. Ach. Aber sie meinten doch, es habe noch kein Arzt….? Na, der sei ja auch nicht für die Krankheiten zuständig gewesen, sondern für die Verwaltung! (Insgeheim bin ich wirklich froh, wieder im normalen ärztlichen Dienst unterwegs zu sein, wo wir von den Patienten angefordert werden, damit etwas besser werden kann, und nicht nur, um Abstriche zu machen und dann wieder zu gehen). Jetzt muss eigentlich noch die Malaria ausgeschlossen werden. Und wie das immer so ist mit den Sammelunterkünften – keiner hat ein Auto, keiner Geld, ein Taxi bis nach Stuttgart Zentrum (nicht jedes Krankenhaus macht Malariatests) zu bezahlen und auch keinen, der einen mal kurz hinfahren könnte. Also braucht es einen Transport. Die Patientin freut sich über die ausführliche Diagnostik. Doch, das sei gut, jetzt, nach fünf Tagen mit hohem Fieber.

Die nächste Patientin ist mit hohem Blutdruck angekündigt. Sonst nichts? Mein Fahrer, ein sportlicher junger Mann, sagt, er könne es langsam nicht mehr hören, die Sache mit Corona ginge ihm allmählich total auf den Sack, er werde jetzt frei nehmen, bis die Geschichte vorüber sei. Ich hingegen beschließe zum wievielten Mal, egal, was uns wie angekündigt wird, bei jedem, zu dem wir gebeten werden, erstmal Fieber zu messen und draußen zu bleiben mitsamt Fahrer (solange dieser nicht das Handtuch geworfen hat) und Equipment…