Unterwegs im ärztlichen Notdienst. Der erste Patient sorgt bereits für Diskussionen. Mein Fahrer, jung und sehr vorsichtig, was den Infektionsschutz angeht, hält die Hausbesuchsanforderung in der Hand. „Wollen sie da nicht anrufen? Das lässt sich ja sicher auch telefonisch klären.“ Der Patient, noch jünger als der Fahrer, coronapositiv, hat seit 3 Tagen hohes Fieber. Bei seinem Geburtsdatum vermutet der eine oder andere einen Männerschnupfen. Einen potentiellen Jammerlappen. Warum sich der Infektionsgefahr aussetzen? Aber: ich kann eine Lunge nicht per Telefon abhören. Das Argument überzeugt. „Ich geh aber nicht mit rein,“ sagt mein Fahrer. Natürlich nicht. Selbst ich gehe, obwohl vollverkleidet, nicht hinein, wenn der Patient zur Tür kommen kann. Und die Versicherungskarte kann man auch einen Treppenabsatz tiefer einlesen. Wir fahren hin. Der Patient hat Atemnot. Die Lunge klingt garnicht gut. Die Sauerstoffsättigung ist im unteren Normbereich. Die Einweisung in die Klinik ist ihm ganz recht, erstmal nur für weitere Diagnostik. Hin und wieder sieht die Lunge in der Bildgebung schlechter aus, als man es vermutet hätte. Lebt noch jemand im Haushalt? Ja, die Freundin, die ist aber bei der Arbeit. Wie kann das sein, wenn er positiv getestet und erkrankt ist? Na, sie habe keine Symptome. Und arbeitet im Einzelhandel. Testergebnis gab es noch keines, man warte darauf. Wir stellen uns jetzt nicht vor, wen sie alles angesteckt haben könnte.
Der nächste Patient lebt im Seniorenheim, er atme schlecht. Im selben Heim war ich bereits vor einer Woche, da waren es 10 Patienten mit verdächtiger Symptomatik, zwei weitere bereits positiv. Heute sind die Ergebnisse des Reihenabstrichs da: es sind über 20, die ein positives Testergebnis haben. Der anzuschauende Patient quält sich mit der Atmung, ist garnicht mehr ansprechbar, trotz Sauerstoffgabe hat er eine Sättigung von nur 82%. Sehr ungesund auf Dauer. Warum wir jetzt erst angefordert worden seien? Sie habe am Morgen schon angerufen, sagt die Pflegerin. Da der Sohn keine weiteren Maßnahmen mehr wolle, habe der Kollege per Telefon Sauerstoff und Fiebersenkung angeordnet. Ich rufe den Sohn an. Doch, vor einer Woche war der Vater noch mobil, man konnte sich mit ihm unterhalten. Und nein, eigentlich wolle er nicht, dass der Vater so erstickt. Sich so quälen muß. Und wenn er beatmet wird, ist er sediert, er wird es nicht spüren. Wird viel weniger spüren als im Moment, wo selbst bei 30 Atemzügen pro Minute und Sauerstoff nicht genug Luft zu bekommen ist. Ich soll ihn einweisen. Gut so. Der Kollege in der Klinik hat noch genügend Kapazitäten. Es will wirklich gut abgewogen und besprochen sein, was da in der Patientenverfügung steht. Das kategorische „es soll nichts mehr gemacht werden“ ist zuweilen weder barmherzig noch angebracht. Oft ist es nötig, den Gesichtsausdruck des Patienten zu sehen, um eine angemessene Entscheidung zu treffen.
Die nächste Patientin ist bereits tot. In Heim Nr. 2 sind inzwischen alle (!) Patienten und 80% des Personals positiv getestet. Die Schwester erzählt mir von einer 85jährigen, die jetzt, nach Ende der Beatmung in der Klinik, auf dem Weg der Besserung und wieder aktiv sei. Na, mal eine gute Nachricht!
Der nächste Patient in Heim Nr. 3 befindet sich in infektionsfreier Umgebung. Hier hat es besser geklappt mit dem Infektionsschutz, es ist kein ausgewiesener Demenzbereich, in dem er sein Zimmer hat, die Bewohner verstehen noch, wo man vorsichtig sein muss. Aber auch er hat Mühe mit dem Atmen. Seit 3 Wochen wird das Herz schwächer, zwar hat der Hausarzt die Medikamente umgestellt, aber das reicht offensichtlich nicht, der Patient hat in dem Zeitraum 14 kg zugenommen an Wassereinlagerungen. Die Ödeme gehen bis unter die Achselhöhlen. War denn mal der Hausarzt vor Ort und hat ihn angeschaut? Die Pflegerin erzählt, scheints habe er noch nicht zurück gerufen. Vor einer Woche schon hätten sie einen Hausbesuch angefordert. Ich stelle mir den Kollegen vor, der zwischen Infektionsschutzmaßnahmen, verunsicherten Patienten und erkrankten Arzthelferinnen rotiert und nicht mehr weiß, wie er das alles schaffen soll. Wir weisen den Patient ein. Und das ist ihm ganz recht. Der Patient ist ein geistig wacher, reflektierter Mann, wenn ihm auch das Wasser bis zum Hals steht.
Wer sich bis hierher durch diesen kleinen Bericht gekämpft hat, verdient ein Lob. Wer mag das alles noch hören? Überhaupt, das C-Wort, es hängt einem aus den Ohren heraus. Und trotzdem denke ich, es ist gut, davon zu erzählen, wie es an den Stellen aussieht, wo die Folgen von Corona offensichtlicher sind als in der Fußgängerzone oder im Reisebüro. Was wird nur aus den Patienten, die keinen Fürsprecher haben, der sich auf die Zehenspitzen stellt und notfalls dreimal darum bittet, dass der Kranke angesehen wird? Und auch nicht erst in einer Woche, sondern heute? For crying out loud…Doch, manchmal würde ich nach einem solchen Dienst gerne laut schreien.