Frisch aus der Paketpost: das neue Leporello. Mit Worten von Hugo Ganslmayer und meinen Bildern.
Vom Präsenzverlag, ISBN 9783945879221, 4,95 €
Und: es geht um Tugenden. Was war das doch gleich? Kein Soll oder Muss, kein erhobener Zeigefinger, eher ein geöffnetes Fenster mit Frischluft, die Einladung zum Gelingen…
Am Morgen stellt sich in unserer Ambulanz eine sehr jugendliche Grossmutter mit ihrer Enkelin vor. Das Mädchen habe ein Problem mit den Beinen, ob wir da etwas ausrichten könnten? Sie wird zur Chirurgin geschickt. Das Problem begleite das Mädchen ja sicher schon seit ihrer Kindheit, frage ich vorsichtig. Die Mutter habe sich nicht um das Kind gekümmert, berichtet die Grossmutter. Als klar war, dass es behindert sei, habe es weder in die Schule gehen können noch sonst irgendeine Förderung erfahren. Sie habe allerdings die Hoffnung noch nicht aufgegeben, deshalb sei sie heute hier… Was kann man den Beiden empfehlen? Das Mädchen wirkt intelligent, kommuniziert normal, wenn auch ein wenig verlangsamt, die Hände verfügen über Feinmotorik, und sie hat eine deutliche Gehbehinderung mit Einwärtsstellung der Füsse. Und niemand hat sich je die Mühe gemacht, ihr Lesen und Schreiben beizubringen.
Physiotherapie muss selbst bezahlt werden, sie wird als individuelle Förderung in mindestens zwei Kliniken angeboten, was wiederum einen weiteren Weg beinhaltet. Eine Schulförderung wäre auch möglich, wenn die Familie es denn finanzieren kann. Ratlose Gesichter. Ob wir erstmal klein anfangen? Die community health workers fragen, ob jemand Zeit hat, ab und zu ein bisschen zu üben, was man mit Buchstaben alles machen kann? Ja, das will sie unbedingt, sagt die Patientin, sie möchte etwas lernen. Und sie fürchte sich auch nicht vor denen, die sie auslachen könnten, wenn es nur langsam geht und länger dauert. Wir finden die Schwester eines in ihrer Nähe wohnenden Sozialarbeiters, die sich das vorstellen könnte. Vier Wochen später erzählt mir dieser, die Beiden übten zusammen. Es gehe voran.
Alle zwei Wochen sind wir an der Reihe, unseren Übersetzerinnen eine kleine Fortbildung zu präsentieren. Nachdem wir im letzten Jahr das Thema Rückenschmerzen vertieft und auch ein bisschen, sozusagen prophylaktisch therapeutisch getanzt hatten, soll es dieses Jahr um Antibiotika gehen, finde ich. Haarsträubend ist der Umgang damit, bei jedem „Chemist“ kann man sie kaufen, so weit das Geld reicht, und da oft nicht viel Geld da ist, kauft man auch mal von jeder Sorte 2 Tabletten und nimmt diese. Darunter sind dann Reserveantibiotika, oder auch schonmal Breitbandpenicilline gegen verrenkte Schultern, weil der Chemist rät, bei Knochenbeschwerden könnte da eine positive Wirkung eintreten…
Die Damen sind völlig im Bild. Alle wissen eigentlich, wie Antibiotika gegeben werden müssen, vermutlich wegen der beständig haareraufenden Ärzte, deren Ärger über ultrakurze oder monatelange Therapien ohne Sinn und Verstand sie immer wieder übersetzen müssen. Wir machen einen kleinen Ausflug zu den Bakterien und Viren, wie sie aussehen, wie sie sich unterscheiden. Ich habe zwei Prototypen aufgemalt und erzähle ein bisschen dazu. Da ich immer wieder Fragen stelle, damit die Mittagsmüdigkeit nicht allzu schwer lastet, sehe ich, dass viel Wissen da ist, aber auch noch ein paar Lücken. Ein paar können wir füllen, z.B. wie es zu Harnwegsinfekten bei Frauen kommt oder wies das eine oder andere übertragen wird.
Was macht ihr, wenn Euer Doktor Antibiotika bei einer Erkältung verordnet, will ich zum Schluss noch wissen, denn das kommt durchaus auch mal vor. Die Damen wiegen die Köpfe. Wir sind in Afrika, und da konfrontiert man nicht, man kritisiert nicht. „Only, maybe… ask in a decent way,,,,?“ meint die Mutigste. Den Chemists würde man zuweilen eine deutliche Aufklärung wünschen…
Am Nachmittag sind so viele Notfälle da, dass auch die Liegen im Verbandsraum besetzt sind. Im kleinen OP liegt ein Mitarbeiter, dem schlecht geworden ist, und auf der Verbandsliege müht sich der internistische Kollege um einen jungen Mann, der ein Insektizid getrunken hat. Zum Glück hat er die Flasche dabei und sogar das Antidot steht in der Gebrauchsanweisung, aber die genaue Dosierung? Alkylphosphatvergiftungen sehen wir auch in Deutschland nicht alle Tage. Wir rufen kurzerhand in der Giftnotrufzentrale im deutschen Freiburg an und hoffen, dass dort nicht gesagt wird, man sei nicht auch noch für Afrika zuständig. Dem ist nicht so, der Kollege am anderen Ende gibt die genaue Vorgehensweise zum Mitschreiben durch. Als der Patient endlich verlegt werden kann und das Ambulanzfahrzeug bereit steht, haben wir annähernd 50 mg Atropin in ihn hineingefüllt, dennoch ist der Puls bei um die 80/min, und schliesslich kann er in passablem Zustand in der Klinik übergeben werden.
Und obwohl es eigentlich genug zu Essen gibt, und Kenia ein fruchtbares Land ist, stellen sich immer wieder unterernährte Kinder und Erwachsene vor. Gut, dass es das feeding center gibt (siehe Bild), und man sogar das Essen verschreiben kann!
Eine Frauengruppe in einem schönen Hotel, irgendwo in Deutschland. Eine Woche Urlaub, es sich gut gehen lassen, sich auf Ressourcen besinnen, sich neu versichern. Auch malen. Wunderbare Bilder entstehen. Herrliche Farben, eine gute Basis, tiefgründig gebaut. Wahlsprüche, die tragen. Die Kursleiterin wagt es, eine Herausforderung einzubauen: ein Haus soll gemalt werden, zu zweit, das Raum hat für Viele. Auch für eine allein erziehende Mutter mit 3 Kindern aus einem Entwicklungsland. Und für ein Tier, denn der Zoo ist abgebrannt. Man darf aussuchen, was für eines, ob Taube auf dem Dach oder Nilpferd im Gartenteich. Träumen ist erlaubt. Insbesondere auf dem Papier. Da ist ja alles möglich, keine Sparauflagen, keine Sachzwänge, Freiheit pur!
Betretene Gesichter. Eine der Frauen will nicht teilnehmen. Zweiergruppen finden sich zusammen. Stellen sich dann doch tapfer der Aufgabe. Die Kursleiterin staunt über die auf den Blättern entstehenden Gebäude. Fast alle Gruppen haben die Mutter mit Kindern ausquartiert in ein extra Haus. Eine Gruppe hat ihr gar eine Lehmhütte mit Grasdach neben die mitteleuropäische Häuschenreihe gestellt. Diskussionen über Abgrenzungen sind zu hören. Darf es in der Häuserreihe auch innen Verbindungstüren geben oder nur von aussen? Eine Gruppe malt einen Fussball für die Kinder, der im Garten benutzt werden kann. Die beliebtesten Tiere sind Vögel. An eine Raubkatze traut sich keiner heran.
Ist Malen gefährlich, fragt sich die Kursleiterin, dass nicht einmal auf dem Papier das Formulieren von Nähe möglich ist? Oder ist das die durchschnittlich-europäisch maximal erträgliche Nähe?
A group of ladies on vacation, somewhere in Germany, taking a good time to relax and rest in a beautiful hotel. Thinking about resources, getting life into a new and vital order. Find a new Motto. And paint a bit. Beautiful paintings are made – colorful, much alive, well based on belief and a good attitude. The art-teacher on one day dares to set up a little challenge: a house has to be painted, that will be the home not only for the painters, but also for a mother with 3 children from a developing country and an animal from the burnt zoo – the painters may choose if it is as small as a dove or big like a hippo in the garden lake. Everything is possible on paper, there is space for dreams, pure freedom.
The ladies are not amused. One doesn’t stay. They finally take the challenge. The art-teacher, who is always moved by the beauty of the ladies‘ creativity, is surprised. Most of the ladies don’t invite the mother with her children into their dream-house, but build a separate one for them. Some even build a hut with a grass-roof for them, that stands beside the mideuropean little houses. Discussions about distance are heard. Should there be doors inside the houses that lead to the neighbor or is a door outside more than enough? Someone paints a football, that may be used in the garden. Most of the animals are birds.
Painting seems to be dangerous in some way, the art-teacher wonders. Even if it is only on paper, without any borders, where every dream is possible, there has to be so much distance to feel safe?