sabinewaldmannbrun

Farbe. Linie. Sehen.


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Dr. Peter fällt um

Nachdem Dr. Peter mir bereits in Nairobi gute Dienste geleistet hatte, indem er mit verschiedenen Diagnosen immer mal umfiel und damit meine Studenten in der Fortbildung sich überlegen mussten, was man in den verschiedenen Zuständen mehr oder weniger schnell tun muss, hatte ich mir auch hier eine Geschichte ausgedacht. Eine Art Detectivestory, die sich am allerbesten zusammen, im Team lösen lässt, so wie ja auch in der echten Arbeit im Alltag. Mal hat er zu wenig getrunken, mal ist er unterzuckert, mal fallen ihm dicke Bücher auf den Kopf, und am Schluss muss er noch reanimiert werden. Im Prinzip ist es immer dasselbe: atmet er? ja? nein? was macht man dann? Lagerung? Untersuchungen, falls er nicht wach wird? Erste Hilfe halt. 

Donnerstagmorgens ist die große Fortbildung, da ist es Pflicht, zu kommen. Der Saal ist voll, aber einige haben sich schonmal weit hinten platziert. Vermutlich, weil ich schon beim letzten Mal ein paar Fragen zwischendurch gestellt hatte. Ich finde ja, man lernt am besten, wenn man nicht den Vortrag an sich vorbei rauschen lässt, sondern mitdenken muss…

Ich lade zum Umzug in die vorderen Reihen ein, was sich, etwas zäh zwar, aber doch machen lässt. Erzähle ein bisschen, warum ich diese Fortbildung mache und was ich damit im Sinn habe. Stelle Dr. Peter vor und was er so tut, und dann lasse ich ihn das erste mal umfallen. Erschreckte Gesichter. 

So, what will you do now? frage ich. Schweigen. Ratlosigkeit, einige sehen aus, als wollten sie am liebsten die Flucht ergreifen. Zwei verlassen den Raum. Ich denke an den Onkel einer Freundin, ebenfalls Arzt, der zur Maximalprovokation seiner Studenten immer mal selbst den Umfallenden spielte. So weit wollen wir es nun doch nicht treiben. Ich frage nochmal. Was tut ihr? Am Boden liegt euer Kollege und rührt sich nicht mehr! Schweigen. Ich schaue ein paar Leute intensiv an. Endlich meldet sich einer und erzählt von ABC. Eine gute Idee! Das ist doch schonmal was. 

Die gesamte Fortbildung zieht sich äußerst zäh dahin. Was in Nairobi überhaupt kein Problem war, ist in Tanzania auf dem platten Land scheinbar schon eins. Sehr mühsam bekommen wir den Doktor schließlich reanimiert und therapiert. Keiner hat gelacht, keiner hat rasch reagiert, lediglich der ebenfalls hustende Kollege von der Männerstation hat dann doch eifrig mitgemacht und sich am Schluss nochmal herzlich für die Fortbildung bedankt. 

Natürlich interessiert mich, was da so schwierig war.

„Sie sind das nicht gewohnt“, sagt die headnurse, die auch, zwar später erst, und recht leise, aber dann doch mitgemacht hat. „Normalerweis sitzen sie da und lassen sich mit einem Vortrag berieseln. Auch verstehen nicht alle so gut englisch“. 

Und das Wissen? „Das gut ausgebildete Team vom letzten Jahr ist leider nicht mehr da. Fast alle sind neu, und da gab’s noch keine Erste-Hilfe-Ausbildung. Man kann nicht bei allen erwarten, dass sie selbst handeln. Auch gerade die Schwestern, die nur eine Grundausbildung haben, sie würden den Patient nicht anrühren, sondern versuchen, einen Doktor anzurufen“.

„Ach, ich hab gedacht, ich warte mal, ob die anderen nicht was sagen“, meint einer meiner Docs. „Aber du bist doch fit und weißt das alles, warum läßt du dein Licht nicht leuchten“, frage ich? Er zuckt mit den Achseln und lächelt freundlich. 

„Sie mögen es nicht, wenn man Fragen stellt“, sagt die Ehefrau vom holländischen Gastchirurg. „Fragen stellen ist unhöflich. Das darf man als Mädchen auch im Dorf nicht, man bekommt eine Backpfeife, wenn man sich nicht daran hält“.

„Ja nun. Kann man das nicht differenzieren?“, frage ich. „Wie soll man denn unterrichten, ohne Fragen zu stellen?“ 

„Du mußt einen rauspicken“, sagt die headnurse, „der soll antworten“. Die Methode scheint mir ziemlich grob und nicht mein Ding. Ich lade lieber ein, als zu verpflichten…

Die kleinen Fortbildungen, die ich immer mal wieder außerhalb der Arbeitszeit einflechte, mit Untersuchungstechniken – einer stellt z.B. sein Knie zur Verfügung, dann wird gezeigt, wie welche Struktur etwas erzählen kann über ihren Verletzungsgrad, dann darf einer der Studenten den Untersuchungsgang für alle demonstrieren – sind deutlich dünner besucht, funktionieren aber besser, was den Mut zum Mitmachen angeht. Mal sehn, wie sich das noch so entwickelt…