sabinewaldmannbrun

Farbe. Linie. Sehen.


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Feuer und Ähnliches…

Unter den vielen Patienten, die auch kurz vor den Feiertagen noch durch unsere Ambulanz im Slum strömen, sind auch einige Kinder, deren Verbrennungswunden wir behandeln.

Da ist der Kleinste, 14 Monate alt, dem heisses Porridge den halben linken Arm verbrannt hat. Zwar brüllt er wie am Spiess, wenn die Wunde vorsichtig gereinigt und dann mit Vaselinegaze verbunden wird, aber wenn alles geschafft ist, lacht er wieder und winkt zum Abschied.

Dann ist da einer, der schon ein bisschen grösser ist, 5 Jahre alt, der schon beim Anblick einer der Fleissigen aus dem Dressingroom zu schreien anfängt, auch, wenn man ihn garnicht beachtet. Er hat sich versehentlich frisch aufgegossenen heissen Tee über den gesamten linken Arm geschüttet, die gesamte Haut hat sich abgelöst, eine grosse, schmerzhafte Wundfläche ist zurückgeblieben. Gerne wollten wir ihn möglichst schnell in unser Referalhospital schicken, damit bald eine Hauttransplantation gemacht werden kann, ich hatte schon den Überweisungsbrief geschrieben, als die Mutter noch einmal an der Sprechzimmertür vorstellig wird. Hm, ja, eigentlich wolle sie auch, dass der Kleine eingewiesen wird, aber es gibt da ein Problem… bei uns hat sie ihn unter einem anderen Namen registriert als bei ihrem ersten Besuch in jenem anderen Krankanhaus, von dem sie zu uns geschickt wurde, und damals sah es noch so aus, als könnte die Haut heilen… Wir staunen. Und fragen, warum sie denn zwei verschiedene Namen benutzt hätte? Ja, eigentlich hätte der Bub Henry James heissen sollen, sagt die Mutter, aber der Vater hätte für Brian Michael plädiert, man hat sich nicht einigen können, und jetzt? Ob wir nicht den Namen (auf ihre Option) ändern könnten in unserer gesamten Dokumentation? Die Headnurse springt ein und versucht, die Verwicklungen zu entwirren.

Und dann ist da noch ein Mädel, 4 Jahre alt, pummelig und gut gelaunt, die ebenfalls  von heissen Tee am Kinn (da ist nach zwei Tagen schon wieder fast alles heil) und über dem Brustbein verbrüht wurde. Die Häute der Brandblasen sind gerissen, aber noch anhaftend, also braucht es noch ein bisschen vorsichtige und zugleich flotte Wundreinigung. Die Mama gibt sich alle Mühe, das Kind abzulenken, spielt Verstecken hinter der Krankenkarte und singt, ach, ja, es ist ja bald Weihnachten, das gerät hier, abseits aller teuren Weihnachtsdeko und bei warmem Sommerwetter, immer wieder in Vergessenheit. Sie singt zu der Melodie von Bruder Jakob Baby Jesus, I love you! Und tatsächlich gibt es kein Geschrei, die Tochter ist tapfer wie die beiden  Jungs zusammen nicht, und ganz schnell ist die Wunde geputzt und verbunden.

Und dann bringt ein Papa noch eine Zweiliterflasche Cola vorbei, als Dank für die Verbände, die seine 5jährige Tochter nicht mehr braucht, weil die Brandwunde jetzt geheilt ist.

Ansonsten ist Weihnachten vor allem Reisezeit, man fährt, so man es sich leisten kann, nach upcountry zur Familie. Die, die es sich nicht leisten können, sind teilweise ziemlich traurig, andere tapfer und viele trotzdem, zumindest nach aussen, guter Dinge.

Nicht nachhause fahren auch die Mädchen der Naningoi Girls Primary School, die dort dank Sponsorship durch Girlsfund Kenya Zuflucht gefunden haben, nachdem sie vor oder aus Zwangsverheiratung mit viel älteren Männern oder der drohenden Genitalbeschneidung geflohen sind. Die Daily Nation berichtet in diesen Tagen ausführlich von diesem Projekt und dass man, wenn Väter versuchen, mit Gewalt ihre Töchter zurück zu holen, immer wieder auch die Polizeit einschalte.

Danke an Sascha für das Foto!

Mehr Informationen unter http://www.german-doctors.de

 


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Wo ist Lucy?

Wenn wir am Morgen um kurz vor 8 Uhr in unserer Slumambulanz ankommen, schaue ich immer erstmal in unseren „Emergency-Room“(eigentlich nur ein Vorraum mit drei Liegen, einem Absauggeraet, einem Notfallkoffer sowie einem Sauerstoffkonzentrator). Meistens ist es hier friedlich , aber nicht immer. Vom nicht mehr atmenden Kleinkind ueber Menschen, die vor Schmerzen schreien, bis hin zu kaum noch ansprechbaren Cholerakranken ist alles moeglich.

Heute finde ich ein bebendes Deckengebirge dort vor: James, 22 Jahre alt, hat in einem Bereich mit Gasleck ein Streichholz angezuendet. Das Gesicht, der Hals, beide Arme, zum Teil Vorder- und Rueckseite des Oberkoerpers, Teile von Beinen und Fuessen sind bei der Explosion verbrannt. Zum Glueck ist James noch ansprechbar und kann berichten. Der Plan, einen venoesen Zugang zu legen, ist schon nicht einfach umzusetzen – wo auf der sich in Fetzen abloesenden Haut soll man die Kanuele befestigen? Aber schliesslich koennen wir die Infusion anschliessen und etwas gegen die grossen Schmerzen geben. Die Verlegung ist wie immer wieder in diesen Zeiten eine Herausforderung – die beste Versorgung von Brandverletzten ist im vom Streik lahmgelegten Kenyatta-Klinikum zu haben.

Headnurse Lilian telefoniert – zwar sind die Stationen geschlossen, aber man will James in den kleinen OP nehmen, und ein paar Militaeraerzte sind scheinbar auch fuer Notfaelle vor Ort, die anderswo nicht behandelt werden koennen. Nachdem der Patient soweit versorgt ist, wie wir es eben leisten koennen, fuelle ich den Verlegungsbericht aus. Als ich wieder zurueck in den Verbandsraum komme, steht der Patient zitternd und barfuss zwischen zwei Angehoerigen, die mit ihm zum Ambulanzfahrzeug  nach draussen auf den staubigen Hof laufen wollen, ungeachtet der Brandblasen und Wunden an den Fuessen. Schnell wickeln wir ihm noch Kompressen um die Fuesse und knoten sie in die schwarzen Plastiktueten, die die Mutter vom Markt mitgebracht hat. Ein Pfleger faehrt als Begleitung mit und berichtet bei seiner Rueckkehr, der Patient sei in stabilem Zustand angekommen, dann aber intubiert worden, da das Gesicht zuzuschwellen begann.

Die letzte Patientin des Tages ist seit fast vier Wochen auf einem gebrochenen Schienbein ohne Gips unterwegs. Zum Glueck hat sie fast nicht aufgetreten, und das vor 2 Tagen erstellte Roentgenbild zeigt bereits Stabilisierungszeichen. Die die uebliche Ruhigstellungszeit bei 6-8 Wochen liegt, beschliesse ich, ihr noch einen Gips anzulegen, schon zum Schutz der begonnenen Heilung.

Um 17.45 Uhr sind wir endlich fertig, die Gipsschiene liegt, aber wie soll die Patientin nachhause kommen? Die schweren, massiv hoelzernen Gehstoecke, blumig mit Bezugsstoff vom lokalen  Schreiner  gefertigt und gepolstert, sind von einer der Schwestern  in Windeseile, aber ohne das Mass der Patientin zu nehmen,  kurz vor Schluss im Buero geholt worden (immerhin hat die Patientin die umgerechnet 10 Euro Leihgebuehr zur Hand, was ueberhaupt nicht selbstverstaendlich ist), aber sie sind viel zu hoch. Einer der Maenner im Raum macht den Vorschlag, sie auf die richtige Groesse abzusaegen, aber dann passen sie nicht mehr fuer den naechsten groesseren Patient. Den Rollstuhl, eine weitere Moeglichkeit, will nun allerdings die Patientin nicht ausleihen, weil der Weg nachhause zu steil und holperig ist. Der Vorschlag der Cousine, ein Motorradtaxi zu nehmen, ist mir wiederum nicht recht. Viel zu gefaehrlich – wer soll, ohne herunter zu fallen, das Bein halten, damit es beim Fahren nicht auf dem Boden schleift?

Schliesslich einigen wir uns, dass die Patientin sich in Begleitung einer der Pfleger nach draussen setzt, damit jetzt endlich die Ambulanz geschlossen werden kann. Bis dann hat auch hoffentlich die Cousine zwei starke Maenner herbeizitiert, die die Eingegipste die 15 Minuten Fussweg nachhause stuetzen koennen (dies muss, da Patientin und Cousine kein Handy haben, zu Fuss geschehen). Und am naechsten Morgen kann die Cousine dann, ohne dass die Patientin im Gips ueber die steinigen Huegel klettern muss, die exakt passenden, da heute noch massgenommenen Gehstoecke abholen. Fuer manche Improvisationen muss man ein wenig Zeit einplanen.

Dann endlich mache ich mich noch auf den Weg, um nach Lucy zu schauen, die ich im letzten Jahr mit ihrer Tochter Merceline in ihrer Schneiderwerkstatt besucht und interviewt hatte (siehe unter Stichwort „African Ladies“), gerade nur ein paar Verschlaege von unserer Amulanz entfernt. Aber da ist sie nicht mehr und auch nicht ihre Werkstatt. Stattdessen haben sich drei coole junge Maenner mit Werkzeug zum Diversesreparieren in dem genannten Verschlag eingenistet. Lucy? Vermutlich mache sie gerade eine Pause, meint einer. Aber ihre gesamte Werkstatt sei doch nicht mehr hier, frage ich? Tja, vermutlich habe sie dann Urlaub, sagen die Jungs, etwas unbestimmt in den Raum hinein und lehnen laessig an der Werkzeugablage. Hier ist also keine erschoepfende Antwort zu erwarten, denke ich mir.

Ich bedanke mich, gehe zwei Wellblechverschlaege weiter und frage die beiden Frisoerinnen, die gerade im Rahmen der Verschoenerungsaktion einer Kundin am Zoepfchenflechten sind. Lucy? Sie sei doch umgezogen, ganz in die Naehe? Richtung dorthin, meint die eine – und zeigt unbestimmt gen Sueden. Das kann nun allerdings vielerorts sein. Wo es denn genau sei, frage ich. Ja, meint die Lady, vielleicht wohl schon etwas weiter weg? Dunkel war’s, der Mond schien helle…

Ich frage Rose, die Sozialarbeiterin. Lucy? Um sie in dem Slumgewirr ohne Strassennamen, Hausnummern oder sonstige Kontinuitaet wieder zu finden, muesse ich schon ihre Telefonnummer haben. Vielleicht kennt eine der Mitarbeiterinnen die Nummer? Das Suchprojekt ist noch nicht abgeschlossen.

(Danke an die fotografierende Kollegin!)

…mehr über unsere Arbeit und das Projekt unter

https://www.german-doctors.de/de/projekte-entdecken/nairobi


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Purity

– Die 22jährige sitzt nicht, sie kniet, umhüllt von einem farbenfrohen Ketenge-Tuch, den Oberkörper auf die Knie ihrer Begleiterin gelegt, die Füsse gefährlich nah am Öffnungsbereich meiner Sprechzimmertür. Aus ihrer Einzimmer-Wellblechhütte unten am Flüsschen haben ihr Bruder und die Schwägerin sie über den halsbrecherisch schmalen und steilen Steinpfad nach oben bis zu unserer Ambulanz geschleppt. Als sie auf der Untersuchungsliege angekommen ist, geschoben, gedreht, gehoben, halb lehnend, ist zu sehen, was die Explosion des in der Hütte genutzten Kerosinkochers angerichtet hat: fast die Hälfte der Körperoberfläche ist verbrannt. Eine Woche lang hat sie im grossen Kenyatta-Hospital die Akutbehandlung erhalten, dann wurde sie nachhause geschickt. Oder sie hat sich selbst aus Kostengründen entlassen? So ganz klar ist das nicht.

Brust, Bauch, Arme und Sitzfläche sind zweitgradig verbrannt, wobei die Körpervorderseite und ein Teil des linken Arms bereits zu grossen Teilen abgetrocknet und am heilen sind. Am schlimmsten aber sind die Oberschenkelvorderseiten betroffen, sie sind zu grossen Teilen noch von dicken, abgestorbenen Hautlappen bedeckt, die sich zu lösen beginnen. Die Verbände sind mit den Wunden verklebt, es riecht. Bei dieser Gelegenheit einmal zum Glück hat Purity heute weder etwas gegessen noch getrunken, so können wir in Kurznarkose die Wunden versorgen. „Krass,“ sagt der jüngere Kollege nur, als die tote Haut sich in Fetzen bis auf des Unterhautfettgewebe abziehen lässt. Was sich nicht leicht und von selbst löst, bleibt vorerst als Deckung. Dennoch verbraucht die grosse Wundfläche all unsere Vorräte an Fettgaze, die ein Verkleben der Wunde mit dem Verband verhindern soll.

So geht das nicht, denke ich. Eine so schwere Verletzung wie diese muss in die Klinik, braucht tägliche Verbandswechsel mit Abtragung der abgestorbenen Hautanteile in Kurznarkose und dann irgendwann die plastische Deckung. Nachdem Purity verbunden und wieder leidlich wach ist, planen und organisieren wir die Wiederaufnahme in die Klinik. Die Angehörigen und auch Purity selbst sind scheinbar einverstanden.

Diese Kurz-OP lässt mich ratlos und bedrückt zurück. Kurzzeitig ist mir der ganze Patiententrubel zu viel, ich mag im Moment keine Wunde mehr sehen und keine Symptomschilderung mehr hören. Mir ist nach einem Stück blauen Himmels, nach ziehenden Wolken und einem frischen Windstoss in den Haaren. Der Anfall geht zum Glück schnell vorüber. Was soll da erst die Patientin sagen, gefangen in ihrer verbrannten Haut?

Drei Tage später. Hausbesuchstour im Slum mit Sozialarbeiterin Rose (oben im Bild: die Lady in Türkis). Auf einem der buckeligen Pfade hält uns ein Mädchen an, wir sollten nach seiner Schwester schauen, der es nicht gut gehe. Wir klettern den steinigen Hang hinunter und finden Purity in ihrer Hütte vor. Ihre Stirn ist heiss trotz des Antibiotikums, die Wunden sind, seit sie bei uns war, nicht mehr frisch verbunden worden. Ein längeres Gespräch folgt, ein zähes Verhandeln. Die Familie will zum Verbandswechsel nach Baraka kommen. Das wäre für sie günstiger. Rose versucht zu erklären, dass dies unsere Möglichkeiten übersteigt. Die Headnurse wird eingeschaltet und schlägt vor, den Betrag zur Klinikeinweisung zu übernehmen. Wir versuchen es noch einmal, Purity stationär unterzubringen und schicken sie mit dem Krankenwagen, damit sie auch sicher dort ankommt.

Diskussionen am Abendbrottisch. Darf ein einzelner Patient so viel an Ressourcen für sich beanspruchen? Welche Töpfe gibt es, die sich vielleicht für die weitere Behandlung erschliessen lassen? Wie soll man entscheiden, welche der vielen Patienten, die jung, schwer krank und noch dazu arm sind, Unterstützung erhalten, die über das Übliche hinaus geht? Und ob überhaupt? Und wenn ja, für wie lange? Quälende Fragen, noch quälendere Zustände für diejenigen ohne finanzielle Reserven. Denn es gibt sie ja, die gute und notwendende Medizin. Es gibt in Nairobi Krankenhäuser mit hohem Standard, aber man muss am Eingang die Kreditkarte auf den Tisch legen. Wenn man eine hat.

 

(- Die Daily Nation berichtet in diesen Tagen auf’s ausführlichste von den endlich bekannt gewordenen Ergebnissen der Schulabschlussprüfungen zu Jahresende. Bilder von jubelnden Schülern, Interviews mit den Jungen und Mädchen mit den höchsten Punktzahlen. Berichte auch über den einen oder anderen Betrug.

Eine ganze Seite ist tapferen Schülern gewidmet, die besondere Hürden überwinden mussten und dennoch gute und sehr gute Ergebnisse erzielten: Da ist Joy, die bei einem Unfall ihren rechten Arm verlor und zunächst lernen musste, mit dem linken zu schreiben und zu zeichnen.  Von Wesley ist die Rede, der zwischen zwei schweren BauchOPs trotzdem auch noch in der Klinik die Nase tief in die Bücher steckte und einen Monat, nachdem er entlassen wurde, die Prüfungen gut bestand. Von Fatima wird berichtet, dem ersten Mädchen in ihrem Dorf, die einen Highschoolabschluss, zudem mit sehr guten Ergebnissen, erlangt hat. Und dann wird da noch Josephat vorgestellt, der als Sohn einer alleinerziehenden, arbeitslosen Mutter von 7 Kindern seine Schulgebühren mit Holzhacken und Farmarbeit verdienen musste, bis er ein Stipendium erhielt. Er schloss mit der Höchstnote ab. „I am very proud of myself and when I look back to where I have come from, I thank God and my Sponsors and Mentors!“ sagt er. Und strahlt in die Kamera.)