sabinewaldmannbrun

Farbe. Linie. Sehen.


6 Kommentare

Eine Million Granaten

Nein, es handelt sich nicht um Früchte (obwohl die Waffe danach benannt wurde wegen ihres „vielkernigen“ Inhalts). Die EU möchte eine Million Granaten an die Ukraine liefern. Deutschland, breit aufgestellt mit einer potenten Rüstungsindustrie, beteiligt sich eifrig. Was immer bei der stolzen Aufzählung der gelieferten Waffen fehlt, ist der Blick auf das, was die Chirurgen nach Einsatz der Waffen zu sehen bekommen:

Tod bei Detonation in der unmittelbaren Nähe eines menschlichen Körpers durch Zerreißen des Getroffenen in zahllose Stücke.

Druckverletzungen mit Riß der inneren Organe ( insbesondere der Lunge , sofort oder verzögert tödlich) in Bereichen, wo man vor den Splittern geschützt ist.

Splitterverletzungen mit Abreißen der Gliedmaßen durch größere Splitter (mit schnellem oder langsamem Verbluten), Schädigung von Haut, Nerven, Knochen, sämtlichen Organen durch eindringende oder bei Überleben durch später noch wandernde Splitter.

(Was die Psychologen und sämtliche Betroffenen ( incl. Partner, Eltern, Kinder, Geschwister, Enkel…) an Traumafolgen bei Tätern und Opfern auch noch zu sehen bekommen werden, sei hier erstmal nicht aufgeführt).

Wer verstehen möchte, was deutsche (und andere) Waffen anrichten, kann das Thema in dem Buch „War Surgery“, dem Standardwerk der WHO über die Kriegschirurgie, vertiefen. Aus zeitlos aktuellem Anlass kann man die Publikation kostenlos herunterladen…


3 Kommentare

Der chirurgische Blick – Surgeon’s view

In diesen Tagen, da sich vielerorts ein erstaunlicher Militarismus entfaltet, denke ich oft an die Zeit in Nord-Uganda, wo ich für ein paar Monate in einem kleinen Landkrankenhaus im OP vornehmlich mit der Versorgung von Schußverletzungen beschäftigt war. Um die 80% unserer männlichen chirurgischen Patienten lagen mit durchschossenen Knochen und Weichteilverletzungen in dem großen Bettensaal herum, in der Hoffnung, dass die Wunden sich wenigstens nicht infizieren und weit entfernt von einer ausreichenden Rekonstruktion. Hin und wieder kam ein klappriger Pickup aus dem Südsudan vorbei und lud bisher nicht versorgte Patienten aus, manche bereits tot, andere mit weggeschossenem Kiefergelenk, blutenden Armen, Beinen, durchschossenen Bäuchen etc. etc.etc. Im OP waren die Möglichkeiten dürftig: die Zerstörung begrenzen, Infektion vermeiden. Schmutz, Blut, totes Gewebe. Funktionsverlust. Ein dicker Strich durch zukünftige Möglichkeiten. Draußen die weinenden Eltern oder andere Familienmitglieder, falls (noch) vorhanden. Neidvoll habe ich zuweilen hinüber geschaut, wo der Kollege Kaiserschnitte gemacht hat, während ich selbst hauptsächlich mit dem Ausschneiden des zerschossenen Gewebes beschäftigt war.

Ich wünsche jedem, der nach Waffenlieferungen ruft, einen Tag in diesem Ambiente, wo deutlich wird, wozu Waffenlieferungen führen. Als Ärztin sehe ich nicht Deutsche oder Afrikaner, Russen oder Ukrainer, Kurden oder Syrer oder oder oder. Ich sehe Menschen, die leiden, und wenn sie nicht daran sterben, für den Rest ihres Lebens dadurch gezeichnet und eingeschränkt sein werden. Als Ärztin ist meine Aufgabe zu heilen. Niemals, auf keine Weise, zu schaden. Deshalb schäme ich mich für die Politiker, die die Lieferung von Waffen dem ernstgemeinten Suchen nach anderen Arten des Widerstandes vorziehen. Jede Waffe ist eine zuviel.

In these days, where astonishing numbers of people are making friends with weapons I am often reminded of the months I spent in northern Uganda some years ago, working as a surgeon in a small village hospital. About 80% of our male surgical patients suffered from gunshot-wounds. Every now and then an old pickup passed by and unloaded wounded people from South Sudan. Some already dead, others with wounds, causing handicap and loss of future. A mess. Blood, dirt, dead tissue. Loss of function. In theatre the almost only chance: to avoid infection, limit devastation. And outside the crying parents, siblings or children. I often envied the gynaecologist who was doing cesarians in the other theatre while I was cutting off dead tissue, flushing and cleaning, far from possibilities of a good reconstruction.

May everyone of those yelling for more weapons have the opportunity to spend time in a setting like this to realise what weapons will cause, once used. As a doctor I don’t see Germans or Africans, Russians or Ukrainians, Kurds or Syrians. I see human beings suffering, and if they don’t die of their injuries, they will have scars and impairment for the rest of their life. My profession is to heal and reconstruct, and in no way to injure or destroy. Therefore I feel ashamed for those politicians, who prefer to send weapons instead of searching thoroughly for other ways to resist. Every weapon is one too much.