sabinewaldmannbrun

Farbe. Linie. Sehen.


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Weil wir einander brauchen…

Die CDU hat direkt vor dem Flüchtlingswohnheim ein Wahl-Plakat gehisst: Integration hat Grenzen! steht in selbstbewußten Lettern auf eher hellblaugrünem Grund darauf. Und noch ein paar andere unmißverständlich ausladende Vokabeln. Eine sensible Platzierung. Ein bewußt gewählter Ort?

Ich komme, mit 3 Gepäckstücken schwer bepackt, von einer Reise zurück. Beim Aussteigen aus der Straßenbahn sehe ich, dass gerade auch eine der Frauen, mit denen ich regelmäßig Deutsch übe, auf dem Heimweg ist. Sie hat mich auch entdeckt. Wir lächeln uns zu. Und schon hat sie das schwerste meiner Gepäckstücke geschultert und erzählt mir fröhlich, woher sie kommt. Wir wohnen in der gleichen Richtung. Zwar ist sie halb so alt wie ich, aber dennoch möchte ich sie nicht als meinen Packesel sehen, ich zupfe an meinem Rucksack über ihrer Schulter, um ihn ihr wieder abzunehmen. Sie lacht. Ich komme noch ein Stück mit. Du hilfst uns doch auch, Deutsch zu lernen, sagt sie, und begleitet mich bis vor meine Gartentür.

Beim nächsten Spaziergang am „Heim“ vorbei sehe ich, dass das Wahlplakat erfreulicherweise inzwischen gedreht wurde: lesbar ist ein unverfänglicherer Wahlslogan: Autos, Bildung, die anderen üblichen Stichworte halt. Die Rückseite dient jetzt den Vögeln in den Bäumen als Lektüre. Hoffen wir, dass die Zugvögel nicht lesen können…


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Nachdenklicher Einwurf am Sonntag

Man stelle sich vor, die Botschaft eines europäischen Landes würde von einem anderen europäischen Land bombardiert und es sterben dabei über 10 Menschen. Würde man dies streng verurteilen? Würde man still halten und nichts tun? Vielleicht kein Wort darüber verlieren? Oder – einen Gegenschlag befürworten?

Und um Mahatma Gandhi zu zitieren: wenn es nach dem Grundsatz „Auge um Auge“ geht, ist irgendwann die gesamte Welt blind…

Imagine, the embassy of your country would be bombed by another neighbor country, more then 10 People die. Would there be anger? Criticism? Diplomacy? Silence? Revenge?

And, to add, what Mahatma Gandhi once said: if the principle of „an eye for an eye“ would count, some day the whole world would be blind…

(und noch ein Postskriptum an meine wütend schreienden Kommentatoren: es muß erlaubt sein, Fragen zu stellen. Allgemein gehalten, um sich der üblichen Vorgehensweise zu erinnern, einen Sachverhalt von allen Seiten abklopfen zu können, sich klar zu werden, wie man selbst entscheiden würde und warum. Natürlich kann man interpretieren, was ich wohl meinen könnte, dies ist aber nicht meine Intention. Wenn man zuweilen die Worte einfach so nehmen würde, wie sie dastehen, würde vielleicht hin und wieder etwas deutlicher…Und: da ich meinen Blog nicht als Schlachtfeld verstehe, wird nicht jeder Kommentar veröffentlicht).


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Herzliche Einladung…

… zu meiner nächsten Benefiz-Ausstellung, die Bilder von mir und meiner verstorbenen Künstlerkollegin und Freundin Gertrud Buder zeigt und zugleich Projekte der klösterlichen Bildungsarbeit unterstützt!

Die Eröffnung findet am 5.5.24 um 12 Uhr in der Galerie in Gnadenthal statt (da gibt’s nur eine!, winziger Ort!). Wer vorher noch um 10 Uhr zum Gottesdienst in der Klosterkirche kommen mag, ist auch dazu herzlich eingeladen!

Öffnungszeiten: Di-Sa 14-17 Uhr, So 11.30-13 Uhr

Die Webseiten der Ausstellenden:

https://gertrud-buder.jimdosite.com und https://sabinewaldmannbrun3.jimdofree.com

Mehr über den Veranstaltungsort: http://www.kloster-gnadenthal.de


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Go, Baby, go! – Unterwegs im ärztlichen Notdienst

Diesmal bin ich unterwegs mit einer sehr entspannten und freundlichen Fahrerin. Auch Rauchpausen gibt es zu meiner großen Freude keine einzige. Die Pausen in der Nacht zwischen den Einsätzen sind ebenfalls etwas knapp bemessen. Zum Schlafen kommt man nicht. Aber wir sind uns einig: wir sind ja nicht zum Schlafen, sondern zum Nachtdienst eingeteilt, da wird schon ein bisschen Dienst erwartet.

Gleich zu Beginn werden wir in eine der wenigen seligen Inseln im Meer des Pflegenotstands gerufen: in die außerklinische Intensivpflege. Hier hat eine Wachkomapatientin (jung und schön, Mutter von mehreren kleinen Kindern und nach einem Unfall zu nichts mehr fähig als nur in ihrem Körper abwesend zu sein) eine schwere Hautinfektion entwickelt, wir müssen sie also einweisen, was garnicht so einfach ist, denn sie braucht ein Überwachungsbett, kostbares Gut in jedem Krankenhaus. Ich telefoniere mit hier und da und dort und entweder es gibt kein solches Bett oder die diensthabende Kollegin möchte die Patientin im normalen Stationskontext unterbringen (wo dreimal am Tag jemand kurz nach ihr schaut – das geht nicht), oder es muß erst besprochen werden, wie und wo und ob überhaupt… Wir warten. Und warten. So ist ein wenig Zeit, von der Pflege zu erfahren, wie ihre Arbeit organisiert ist, dass sie hoch zufrieden mit dem großzügigen Personalschlüssel sind und was dieser an Engagement für die Patienten ermöglicht. Endlich findet sich ein Bett und nun muß noch ein Transport organisiert werden, ebenfalls nicht ganz einfach, aber auch hier endlich dann doch.

Die nächste Patientin ist tot und soll angeschaut werden. Die Trauer der anwesenden Familie wirkt verhalten, und es zeigt sich, dass das Leben kompliziert war, Drogen, Gewalt, Verwicklungen, und da die Patientin in jungem Alter leblos aufgefunden wurde, müssen wir wieder warten, diesmal, bis die Polizei eintrifft. Es klingelt. Die Notfallseelsorge ist da, wir warten weiter. Auch die Patientin, die uns danach angekündigt wird, braucht bei genauem Besehen eine Abordnung der Kollegen in Blau, Sturz und danach Tod, Wunden größeren Ausmaßes. Wir warten wieder. Und so geht es weiter. Ein langsamer Dienst. Eigentlich würde man lieber in liegender Position warten, insbesondere nachts um 3 Uhr, aber das ungeheizte Zimmer des dritten Verstorbenen wäre dafür sowieso zu kalt.

Als die Nacht sich schon dem Ende zuneigt – die Vögel konzertieren bereits vielstimmig hier im ländlichen Umland – führt das Navi uns „auf dem schnellsten Weg“ in Richtung zuhause, was sich leider als unpraktikabel erweist: schnell ist nicht immer zielführend. Denn plötzlich finden wir uns auf einem Verbindungssträßchen wieder, das sich unversehens in einen Feldweg verwandelt, und als wir mit beherztem Schwung auf die Landstraße zurück fahren wollen, bleiben die Räder in den tiefen Matsch-Rillen stecken, die Räder drehen durch und es geht weder vor noch zurück. Auch Anfahren im „Sportmodus“ hilft nicht, auch nicht die Holzreste, die wir schließlich nach unzähligen Versuchen mit matschigen Händen hier am Feldrand finden können zum Unterfüttern der Reifen oder der Versuch, auf den grasigen Feldbereich zu kommen, um mehr Griff zu haben. Go, Baby, go!!!, macht meine Fahrerin feurig dem angestrengt klingenden Motor Mut, und ich versuche mich mit nicht minder engagiertem Ja! Jetzt! Nochmal, ja, ein Zentimeter ist geschafft, gleich haben wirs geschafft! Ja, jetzt..(usw usw) als Cheerleader zu betätigen, aber das Ergebnis ist mehr als mickrig – wir stecken fest. Gleichmütig rauscht der Morgenverkehr an uns vorbei, und wir stellen uns vor, was die Autofahrer denken – ha, der ärztliche Notdienst (tolle Karre mit Leuchtstreifen und großer Beschriftung) macht Fahrversuche auf Feldwegen…Aber vermutlich denkt keiner etwas, denn es hält auch keiner an.

Was machen wir jetzt? Eine halbe Stunde sind wir jetzt zugange mit vor und zurück ohne Ergebnis. Eine blasse Sonne klettert schon über den Horizont. Einen Abschleppdienst holen, der sich über die unfähigen Frauen unter den Tisch lacht? Meine Fahrerin ruft den Ehemann an, dass er schonmal die Kinder in die Schule bringt. Eigentlich ist der Dienst jetzt zuende. Wir beschließen, nicht aufzugeben, sondern jetzt ein Klemmbrett zu opfern. Vielleicht geht es dann? Oh Gott, hilf, sagt meine Fahrerin und ich finde, das ist eine sehr gute Idee (ich dachte das ja vorher schon, aber jetzt kann man es doch mal zur Sprache bringen): soll er mit seinen großen, starken Händen mal ein bisschen mit anschieben. Genau, so wird das, sind wir uns einig. Und sieh da, mit dem Klemmbrett unter dem eingesunkenen Reifen, auf dem Gas stehen und Schwung in Richtung Grasfläche tut es einen Ruck und wir fahren wieder! Und jetzt im Supersportmodus, man könnte denken, jetzt sind sie völlig verrückt geworden, preschen mit dem schicken, neuen E-SUV wie die Rallyefahrer durch die Matschpfützen, aber so mit ausreichend Tempo bleibt man wenigstens nicht noch mal stecken. Von braunen Wasserfontainen flankiert, aber Gott sei Dank, da sind wir uns einig, sind wir endlich raus aus dem Schlamm-Massel! Zu welcher Religion gehörst du eigentlich, frage ich? Meine Fahrerin ist Muslima. Wir einigen uns leichten Herzens und so froh, endlich wieder Asphalt unter den Rädern zu haben, gemeinsam dem Gott Abrahams, dem Stammvater der drei monotheistischen Religionen dankbar zu sein und fahren völlig erledigt, aber über die Maßen glücklich zu unserem Stützpunkt zurück.

Das Klemmbrett, aus Metall und daher eher nicht extrem umweltfeindlich, harrt noch in einer Ackerfurche auf jemand, der es vielleicht abwäscht und weiter benutzt. Das Auto sieht aus wie aus dem Schlamm gezogen (was ja stimmt), aber mal ehrlich, wen stört das an diesem Morgen noch? Die Waschstraße wird dem unkompliziert Abhilfe schaffen. Das Navi sollte übrigens dringend so programmiert werden, dass nur asphaltierte Wege vorgeschlagen werden. Und wir müssen uns, endlich angekommen, erstmal feste drücken und (mit letzter Kraft, aber noch genügend Adrenalin) eine Runde ums Auto tanzen. Egal, wer was dazu denkt. – Auf der Heimfahrt in der S-Bahn finde ich mich unversehens inmitten einer munteren Schnattergruppe von 8-jährigen, die einen Schulausflug machen. Gerne erklären sie mir, was das Spiel bedeutet, das sie da unermüdlich um mich herum spielen: 007 – abwehren, aufladen, abschießen. Trotzdem ein guter Ausgleich nach so viel Tod in der Nacht…


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Hat es gefallen? (nach Kurt Marti)

Dem Herrn, unserem Gott, hat es ganz und garnicht gefallen, daß Nura, daß Shmuel, daß Dimitrij, daß Toto, daß all die zahllosen anderen durch die Hand anderer Menschen starben.

Sie waren denen, die sie liebten, die Sonne am Morgen und ein Stern in der Nacht, sie waren lebendig, begabt, und fähig zu lieben, das Leben zu hüten.

Dem Herrn, unserem Gott, hat es ganz und garnicht gefallen, dass einige von euch dachten, es habe ihm solches gefallen. Im Namen dessen, der Tote erweckte und des Toten, der aufstand: wir protestieren gegen den Tod und die Waffen, die ihn bringen!

(und Kurt Marti, der wortmutige Schweizer Pfarrer, möge mir die Nachdichtung, Kürzung und Ergänzung seiner Worte aus den „Leichenreden“ ( DTV München, Erstausgabe 1969) vergeben).


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Vom Zauber der einfachen Dinge

Ab und zu darf ich meinen 4-dreivierteljährigen Freund vom Kindergarten abholen und dann in seinem Zuhause nach ihm schauen, bis seine Eltern von der Arbeit eintreffen. Da er zumeist mit dem Bus zur Kita fährt, brauchte es beim ersten Mal ein bisschen Überzeugungskraft, bis wir zu Fuß über’s Feld zurücklaufen konnten. Aber die Aussicht auf das eine oder andere „Moorbad“ (Rumgeplantsche in tiefen Matschpfützen am Ackerrand) hat das Feld schnell zu einem Sehnsuchtsort werden lassen. Wo man als flott laufender Erwachsener normalerweise 20 Minuten für den Weg nachhause veranschlagt, brauchen wir mindestens 5x so lang (der Rekord waren bisher 2,5 Stunden), so viel gibt es da zu sehen. Ob das alte Sofa am Wegrand mit Löchern auf der Sitzfläche (Experimente, ob die heilen Reste eine stabile Sitz- und Hüpffläche abgeben), die Schneebeeren an den Sträuchern (werden für den letzten Teil der Wegstrecke gesammelt, wo man sie auf dem Asphalt knacken lassen kann), all die anderen Winterbeeren unterwegs (Kann man die essen? Wofür sind die gut? Wie macht sich verschmierte rote und/oder schwarze Beere auf den blauen Anorak?), ein Abstecher auf den Spielplatz (ein unerschöpflicher Ort für Experimente aller Art, auch für mich, die ich die Fläche als Malunterlage genutzt habe, während nebenher ein paar kleine Sandvulkane gebaut wurden, siehe Foto: da wird dem Riesenbär ein Bauchnabel ausgehoben), die vorüberziehenden Hunde (da kann man u.a. schauen, ob sich einer umdreht, wenn er mit meiner Hundepfeife angepfiffen wird), ein Regenwurm auf dem Weg (auf dem Feld wohnt davon eine große Familie mit weit reichenden Verwandtschaftsbeziehungen), ein vernachlässigter Rettich auf dem ehemaligen Blühstreifen (rausziehen, am Gras sauberputzen, Rettichsaft produzieren) oder ein unvermutet auftauchender Sperrmüllhaufen (Sabine, da nehmen wir jetzt was mit!!!) – die Welt ist voller Wunder, und eigentlich braucht man das ganze Plastikspielzeug, das da so verkauft wird, garnicht. Selbst drei irgendwo abgefallene, noch mit Gelenken verbundene bunte Holzstreben verwandeln sich unversehens in alles mögliche. „Sabine, was ist das?“ „Ein Heuhüpfer?“ (tatsächlich, sind da nicht plötzlich hüpfende Beine?) „Und das?“ „Eine Rutsche für Saurier?“ ( Saurier sind fast immer im Spiel). Und dann, viele Rätsel später vielleicht: „Sabine, jetzt zeig ich dir was ganz schwieriges!“ „Ein Wegweiser nachhause?“ (enttäuschter Blick…)). Wohl dem, der Spaß am Spiel und es nicht eilig hat (so wie ich an diesen Tagen…).


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Überraschungen

Ein kurzer Wochenenddienst in einer Notfallpraxis im Land. Meine achtunddreißigste Patientin, Anfang 20, ist gut gelaunt und kommt mit einem etwas zerrupft aussehenden Begleiter herein. Sie habe gestern Haschisch und Alkohol konsumiert und will nun von mir wissen, wann sie wieder nüchtern ist. Ach ja, und Amphetamine. In Erinnerung an junge Leute mit Herzrhythmusstörungen und induzierte Psychosen frage ich vorsichtig nach Beschwerden. Nö, alles gut. Sie müsse halt am Montag arbeiten und, na ja, da wollte sie wieder ganz nüchtern sein. Ich lasse verantwortungsvolle Berufe vor meinem inneren Auge Revue passieren: Busfahrerin? Kranführerin? Zahnarzthelferin? Sie klärt mich auf: bei Aldi an der Kasse ist sie ab Montag wieder im Einsatz.

Aus dem Personalraum winken, bisher ignoriert, seit 7 Stunden die Berliner, die eine der beiden Arzthelferinnen für unser Miniteam mitgebracht hat. Außerdem wartet draußen noch eine Schlange von mindestens 15 Patienten. Da müssen wir, jetzt kurz vor Dienstschluss, noch überlegen, was mit ihnen geschieht. An Weihnachten hatten die Arzthelferinnen an anderem Ort alle Übriggebliebenen in die Notaufnahme gescheucht und sich strikt geweigert, weiter zu arbeiten. Die kassenärztliche Vereinigung hat ja im Rahmen der „Notbremse“ den zweiten Arzt gestrichen und den Dienstzeitraum insgesamt zusammengekürzt. Ich erinnere meine wissensdurstige Patientin an das Füllhorn Internet, wo eigentlich alles zu finden ist, was man wissen möchte. „Wann Cannabis nicht mehr nachweisbar“? könnte man in die Suchmaschine eingeben? Dass ich ihr die Recherche heute nicht abnehmen werde, trübt nicht ihre gute Laune. Gut so. Die beiden verabschieden sich. Ebenso die zweite Arzthelferin. Ich nutze die Gelegenheit, nach der weiteren Gestaltung des Abends zu fragen, nachdem offiziell in 10 Minuten Schluss ist. Überraschung: es gibt eine nicht mehr ganz neue Dienstanweisung von höchster Stelle, dass in dieser Notfallpraxis alle Patienten abgearbeitet werden müssen und niemand außer den Einweisungsbedürftigen in die Notaufnahme, die 18 Schritte entfernt ist, geschickt werden darf. Ach. Wir arbeiten nach einem Biß ins Käsebrot weiter. Die Berliner warten weiter an der Ziellinie.

Die 15 Übriggebliebenen sind nicht alle nur erkältet. Es sind auch schwer kranke Patienten darunter, die vor Einweisung notversorgt werden müssen. Und ein paar Eltern mit Kleinkindern, die zwar schon gesagt bekommen haben, dass wir hier keine Kinderärzte haben und es nur um eine Ersteinschätzung gehen kann, in welchem Tempo sie zum Pädiater eilen müssen (auch dazu gibt es eine Dienstanweisung: jede/r Patient/in, egal wie alt, muß wenigstens kurz angeschaut werden). Aber nach 2 Stunden Wartezeit möchte man halt doch noch, dass dies und das angeschaut wird, und nicht in ein anderes Krankenhaus mit Kinderklinik fahren, wo man dann evtl. noch länger warten muß, um dann zu demselben Ergebnis zu kommen. Zum Glück ist keines der Kinder schwer krank. Und zwei Stunden später ist der letzte Patient in akzeptablen Zustand verabschiedet. Ein Berliner ist noch übrig. Und der schmeckt wunderbar!


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Hufeisen’s Lebenslieder

Frisch erschienen ist gerade ein feines Büchlein (mit Audio-CD!) zum 70. Geburtstag des bekannten Flötenspielers Hans-Jürgen Hufeisen (und er ist auch Choreograph, Tänzer und Komponist)! Dabei waren die Vorzeichen schwierig: als Neugeborenes von der Mutter in einem Hotel zurück gelassen, durfte er sich später im Kinderheim an die Musik herantasten und bekam als Schulbub schließlich eine Flöte geschenkt. Und damit begann sein Lebensgärtchen sich auch in Tönen zu entfalten – ein Garten, der trotz der Suche nach seiner Mutter, die ein Grundklang bleibt, heute reich blüht. (Ich durfte mitfeiern, nämlich Farbe und Zeichnungen beitragen!).

Hans-Jürgen Hufeisen: Lieder meines Lebens, mit einem Geleitwort von Anselm Grün. Verlag am Eschbach 2024, 22 Euro (mit AudioCD), 104 Seiten, gebunden. ISBN 978-3-98700-095-9


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Nachdenklicher Einwurf am Sonntag

Gilt die Todesstrafe? Heute? Hier? Natürlich nicht?

Ich lese und höre in diesen Tagen immer wieder davon, dass jemand „eliminiert“ oder „neutralisiert“ wurde. Ein Feind, einer, der unverzeihlich Böses verschuldet habe. Immer wieder verliert bei dieser Neutralisation auch seine Familie ihr Leben. Und ein Teil seiner Freunde. Oder, war es ein Politiker, ein Teil seiner Wählerschaft, und dazu noch die Nachbarn. Und jene, die zufällig in der Nähe waren (was, wenn die Todesstrafe denn gelten würde, weit über das Ziel hinausschießt, dass einer für sein Tun sterben soll). Wird dies unbesehen abgenickt und geschluckt? Ist das eigentlich geltende Recht, dass es einen Strafprozess geben muß, nicht eine kostbare Errungenschaft unserer Zivilisation? Die in ihren Grundwerten auch auf einen zurückgeht, einen Juden, der sagte: Du sollst nicht töten?

Wie ist das denn mit den Feinden? Dieser Eine, der sagte: Du sollst nicht töten, sagte zudem: tut wohl denen die Euch hassen (denn, und das steht an anderer Stelle: wer wird den hassen, der ihm Gutes tut?). Wie leicht läßt sich auch dies abnicken und schlucken, wenn es keinen so stacheligen, bitter schmeckenden Grund gibt, darüber neu nachzudenken?


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Weihnachten am Pool?

Einige haben ja schon in der Zeitung gelesen oder wußten schon vorher, dass ein Poolarzt kein Doktor im Urlaub auf Barbados ist, sondern ein Arzt aus dem Vertreterpool für die niedergelassenen Kollegen, damit diese neben dem anstrengenden Praxisbetrieb nicht auch noch nachts, am Wochenende und an den Feiertagen arbeiten müssen. Diese Vertreterärzte, zu denen auch ich gehöre, sind Ende Oktober vom einen Tag auf den anderen von unserem „Arbeitgeber“ (in Anführungszeichen, da wir ja fast alle als Freiberufler arbeiten), der KV (Kassenärztliche Vereinigung), aus den Dienstplänen gestrichen worden, weil ein in ähnlicher Art beschäftigter Zahnarzt geklagt hatte, dass er für seine bisherige Tätigkeit doch eigentlich Anspruch auf eine abhängige Beschäftigung mit Sozialabgaben durch den Arbeitgeber hätte. Das Bundessozialgericht gab ihm recht. Die KV befürchtete nun, für sämtliche Vertreterärzte Sozialabgaben nachzahlen zu müssen, falls wir weiter freiberuflich vertreten und hat uns gewissermaßen umgehend aus dem Verkehr gezogen.

Da das Urteil aber noch nicht schriftlich vorliegt, können keine rechtsverbindlichen Schlüsse daraus gezogen werden. Insofern ist alles offen: die Strukturen der Dienstvermittlung und Gehaltszahlung müssen nun irgendwie von uns selbst improvisiert werden. Nachdem jetzt eventuell, aber nicht sicher, die KV Ende März ein Statement dazu abgeben will (wobei noch nicht klar ist, ob dann endlich das Urteil schriftlich vorliegt), bewegen wir uns rechtlich in einem Graubereich. Um rundum sicher zu sein, dass keiner ein Risiko eingeht, müßte man sich eigentlich für jeden einzelnen Dienst anstellen lassen, das heißt: für 8 Stunden Arbeit einen abhängigen Arbeitsvertrag mit jeweils geteilten Sozialabgaben (Kranken-, Renten-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung), Urlaubsanspruch, Krankheitsfall etc. etc. zu machen…

Da unsere niedergelassenen Kollegen mehrheitlich überhaupt nicht begeistert davon sind, jetzt alle Dienste selbst abzuleisten und sich gegenseitig zu vertreten (so hatte die KV es vorgeschlagen), auch, weil z. B. ein Psychiater sich nach 20 Jahren Praxisarbeit in der Notfallmedizin nicht mehr sicher fühlt, oder ein Chirurg, der ab 7 Uhr morgens Belegpatienten operiert, nicht die Nacht davor mit Hausbesuchen und Leichenschauen zubringen möchte, und weil auch eigentlich die bisher hauptamtlich tätigen Vertreter nicht ein halbes Jahr lang ohne Einkommen warten möchten, wann jemand eine Stellungnahme zur einer rechtssicheren Lösung abgibt, ist der ärztliche Notdienst im Moment ein bunter Garten kreativer Lösungen, die sich aber alle im luftleeren Raum bewegen.

Da die KV zudem, um die niedergelassenen Kollegen zu entlasten, Notfallpraxen geschlossen, Dienste unter der Woche gestrichen, am Wochenende die Dienstzeiten verkürzt und pro Schicht an Wochenenden und Feiertagen nur noch einen einzigen Kollegen eingeplant hat, die Patientenzahlen, besonders an den Feiertagen und im Winter eher höher sind als sonst, herrscht immer wieder mal Land unter. Und jetzt sind wir bei Weihnachten, und da hat an Heiligabend ein Frühdienst so ausgesehen:  71 Patienten auf einen Arzt in 8 Stunden, davon 15 an den im Spätdienst ablösenden Kollegen verwiesen. Der Spätdienst am 25.12. gestaltete sich ähnlich: 12 Patienten von der Frühdienstkollegin übernommen, 36 Patienten in 6 Stunden, 12 Patienten am Ende an die (darüber in keiner Weise erfreute) Notaufnahme verwiesen. Insgesamt: Warteschlangen bis zum Eingang, Wartezeiten von 3-4 Stunden, Beschwerden von den Patienten, gestresste Arzthelferinnen.

Nun könnte man ja sagen: dann arbeite halt schneller. Nun haben wir aber immer wieder neben den vielen von Grippe und Corona gebeutelten auch schwer kranke Patienten mit Verdacht auf Schlaganfall, mit Herzinfakten, drohendem Abort oder schwerer Atemnot, die man nicht auf die Schnelle wieder wegschicken kann, und dann staut sich der Fluß. Und auch die, die weniger krank sind, möchten wahrgenommen werden und zumindest die Sorge loswerden, es könnte etwas Schlimmes sein. Ganz zu schweigen von den vielen Verbänden, die über die Feiertage nur hier gewechselt werden können…

Meine letzte Patientin an jenem Feiertag war sehr jung, leicht erkältet und hatte 3 Stunden gewartet. Sie dachte sich, die lange Wartezeit rechtfertigt nun ein besonderes Maß an Zuwendung und verlangte eine Infusion mit Schmerzmitteln und Vitaminen zur Stärkung sowie ein Antibiotikum. Nichts davon kann ich ihr bei der eher leichten Symptomatik, noch dazu ohne Fieber, Schmerzen und Entzündungszeichen zugestehen, aber eine freundliche Erläuterung, warum dies so ist und wie sie weiter vorgehen kann. Das genügte ihr nicht und sie begann zu schimpfen, meine Arbeitsweise zu diskreditieren und ich hörte sie noch auf dem Gang schreien, nachdem ich sie gebeten hatte, draußen auf die Erstellung des Arztbriefs zu warten. Gut, dass ich noch im Ohr hatte, dass einige Patienten mir gesagt hatten, sie seien so froh, dass wir an Weihnachten für sie da sind oder dass die Behandlung oder ein Gespräch ihnen gut getan habe. Nach Ende des Dienstes fiel mir wieder ein, dass ja Weihnachten ist. Gut, dass die eigentliche Bedeutung des Festes völlig unabhängig davon ist, ob man dazu kommt, etwas zu essen (im Dienst zumindest war keine Zeit dazu), oder ob irgendwo ein Weihnachtsbaum steht (war auch nicht der Fall). Unserer Steuerberaterin hatte ich erzählt, dass ich gerne an Weihnachten arbeite. Das stimmt nach wie vor. Ich kann mir Jesus, den wir da ja feiern, auch eher in einer Notaufnahme vorstellen als Plätzchen essend unter einem Weihnachtsbaum. Sie hat mir daraufhin, was mich sehr überrascht hat, ein sehr fein eingepacktes Paar fröhlich-bunter Socken aus Biowolle für nach dem Dienst geschickt…